13.4.–9.7.2018
Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930
Ausstellung und Konferenz
13.4.–9.7.2018
Neolithische Kindheit untersucht, wie die künstlerischen Avantgarden auf die multiplen Krisen der europäischen Moderne um 1930 reagiert haben – die „Krise des Bewusstseins“, die Revisionen der Früh- und Vorgeschichtsschreibung, das imperialistische Kräftemessen, die Barbarei des technologischen Massenkriegs, den Schock der kapitalistischen Industrialisierung, das Scheitern der Zweiten (Sozialistischen) Internationale, das Endspiel des bürgerlichen Humanismus und die Heucheleien des Kolonialdiskurses.
Börsencrash und Massenarbeitslosigkeit, politische Polarisierungen, die Industrialisierung der Wahrnehmung, die Gewalt des Kolonialismus: „Ca. 1930“ war eine Zeit der Krise der Moderne. Auch den künstlerischen Avantgarden in Europa wurde ihre Zeitgenossenschaft zum Problem. Die Zumutungen der Gegenwart verleiteten Künstler*innen dazu, in einen Imaginationsraum der Archaik und Exotik auszubrechen – auf der Suche nach alternativen Ursprüngen und Nullpunkten der Menschheit. Neue und in Veränderungen begriffene Wissenschaften wie Ethnologie, Archäologie, Psychologie und Mathematik dienten als Ressourcen. „Weltkunst“ avancierte zu einem Schlüssel für die Revision von Geschichte und Moderne.
Ausgehend von den Schriften des außerakademischen Kunsthistorikers Carl Einstein thematisieren eine Ausstellung und eine Konferenz die Umbrüche, Öffnungen und Widersprüche, die sich von den 1920er bis in die 1940er Jahre in der Kunst und in den Humanwissenschaften manifestierten. Die „neolithische Kindheit“ – eine Begriffsschöpfung, mit der Carl Einstein das Bildverständnis von Hans Arp charakterisiert – schien eine hilfreiche Fiktion zur Kritik der Gegenwart.
Von Max Ernsts Werkserie zur außermenschlichen Naturgeschichte über Brassaïs Fotografien prähistorisch anmutender Graffitis bis zu Sexualikonografien von Toyen oder Catherine Yarrows maskenhaften Aquarellen: Für die Ausstellung spielen die ästhetischen Politiken des Surrealismus eine zentrale Rolle. 180 Kunstwerke und 600 Archivalien entwerfen ein Panorama des Zusammenwirkens von bildender Kunst, Politik, Philosophie, Ethnologie, Psychologie und den Naturwissenschaften in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Erstmals zu sehen sind Originalhandschriften von Carl Einstein, der – in antikanonischer Absicht – wesentlich zur Kanonisierung moderner Kunst beigetragen hat. Magazine, wie das von Georges Bataille und Carl Einstein maßgeblich geprägte Documents, Werke namhafter Künstler*innen – wie Hans Arp, Georges Braque oder Paul Klee – und von weniger bekannten Akteur*innen demonstrieren die Rolle der Kunst und der visuellen Kulturen bei der Bearbeitung der Krisen um 1930.
Mit Werken von Hans Arp, Willi Baumeister, Georges Braque, Claude Cahun, Germaine Dulac, Sergei Eisenstein, Max Ernst, T. Lux Feininger, Florence Henri, Hannah Höch, Heinrich Hoerle, Valentine Hugo, Paul Klee, Germaine Krull, Len Lye, André Masson, Richard Oelze, Wolfgang Paalen, Jean Painlevé, Alexandra Povòrina, Gaston-Louis Roux, Kurt Seligmann, Kalifala Sidibé, Jindřich Štyrský, Toyen, Frits Van den Berghe, Paule Vézelay, Catherine Yarrow u. a.
In Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste wurde das dortige Carl-Einstein-Archiv digitalisiert: adk.de/einstein
Zur Ausstellung ist eine Publikation bei diaphanes (in deutscher und englischer Ausgabe) erschienen.
Kuratiert von Anselm Franke und Tom Holert; mit wissenschaftlicher Beratung durch Irene Albers, Susanne Leeb, Jenny Nachtigall, Kerstin Stakemeier
Im Rahmen von Kanon-Fragen