Eskapismus
Das Anthropozän-Projekt. Eine Enzyklopädie
Forensische Grabungen, enzyklopädisches Glossar, kybernetische Kontrolle – das Anthropozän will es wissen! Mit Natur- und Geisteswissenschaft, ästhetischer Erkenntnis und künstlerischen Forschungsmethoden möglichst alles erfassend, scheint es im Anthropozän sehr viel ums Wissen und Verstehen zu gehen. Aber wie steht es mit unserer Neigung zum Nicht-Wissen-Wollen, zur Betäubung, zum Eskapismus? Ist die verschwunden, bloß weil es theoretisch kein Außen mehr gibt und praktisch keine anderen besiedelbaren Planeten, auf die wir uns verflüchtigen könnten? Während sich die Gegenkultur per Psychedelik, Drogen, Spiritualismus oder Selbstoptimierung in eine uferlose Innenwelt flüchtete, ist für den Afrofuturismus-Künstler Sun Ra die reale Welt längst vorbei, er lebt ein alternatives Leben im Mythos und auf dem Saturn. In der Beharrlichkeit, mit der Sun Ra seine extrareale Existenz bekräftigt, ist das kaum mehr eskapistisch zu nennen, während sich die temporären Aussteiger kalifornischer Kommunen diesen Vorwurf durchaus gefallen lassen mussten. Eine Flucht vor der Erkenntnis landet aber nicht zwangsläufig in gefälligen Harmoniewelten – und ebenso kann ein bisschen Doofheit, Traumwelt oder Phantastik der Realität nicht schaden. Sind es nicht ausgerechnet die wissenshungrigen Wissenschaftler, die letztlich im weltabgeschiedenen Elfenbeinturm landen?