Lesungen, Gespräche
Polyglotteries # 1 - Transferring over Time
Literaturen in Übersetzung
Boten zwischen den Welten, Brückenbauer, Wortschöpfer – Übersetzer und Übersetzungen sind zu Schlüsselbegriffen unseres globalisierten Zeitalters geworden: Sie vermitteln zwischen sprachlichen und politischen Systemen und sind der Kitt, der die Risse in der weltumspannenden Kommunikation glätten soll.
Wo die vielzitierte Metapher zum Schlagwort zu verkommen droht, zielen die Diskussionsabende Polyglotteries 1+2 darauf, das Feld neu zu schärfen. Während Polyglotteries 1 Übertragungen von Texten und Wissen über Zeiten hinweg untersucht, nimmt Polyglotteries 2 Übersetzungen zwischen unterschiedlichen politischen und religiösen Systemen in den Blick. Beide Lese- und Diskussionsabende finden im Rahmen des aktuellen Preisjahres des „Internationalen Literaturpreises - Haus der Kulturen der Welt“ statt – ein Preis, der die Aufmerksamkeit auf anderssprachige und internationale zeitgenössische literarische Werke lenkt und besonderes Augenmerk auf die wertvolle Arbeit zwischen den Sprachen, auf das Übersetzen legt.
Transferring over Time
Lesung und Gespräch: Cécile Wajsbrot, Marie Luise Knott
Diskussion: Holger Fock, Olaf Kühl
Cécile Wajsbrots „Die Köpfe der Hydra“ erzählt die Geschichte der scheiternden Kommunikation zwischen dem Alzheimer-kranken Holocaust-Überlebenden Vater und seiner ihn pflegenden Tochter, die sich selbst zur verlieren scheint: Die Erfahrungswelten der Generationen stehen konträr gegenüber, durch Krankheit verliert die Elterngeneration ihr Wissen, ihr Gedächtnis, ihre Sprache. Vergessen und Verstummen stellen sich ein. Die Lesung mit Cécile Wajsbrot im Dialog mit der Kritikerin und Übersetzerin Marie Luise Knott zeichnet den Bericht über familiäre Bande, die Konfrontation mit Krankheit und die misslingende Verständigung nach. Das Thema der gescheiterten „Übersetzbarkeit zwischen Generationen“ wird in einem zweiten Teil des Abends auf einen breiteren gesellschaftlichen Kontext übertragen: Die Übersetzbarkeit von Wissen über Generationen und Zeiten hinweg und die Rolle der Übersetzung als Archiv erörtern dabei Holger Fock, Übersetzer aus dem Französischen und Kenner des Werks von Cécile Wajsbrot, und Olaf Kühl, Übersetzer vor allem aus dem Polnischen und Übersetzungstheoretiker.
(mit Simultanübersetzung: englisch-deutsch)
Holger Fock (geboren 1958 in Ludwigsburg) ist Übersetzer aus dem Französischen und Vizepräsident des CEATL - Rat der europäischen Literaturübersetzerverbände. Holger Fock studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie und übersetzt seit 1983 französische Literatur, u.a. André Breton, Théophile Gautier, Pablo Picasso, Pierre Michon. Zusammen mit seiner Frau Sabine Müller übersetzt er Gegenwartsautoren wie Cécile Wajsbrot, Andreï Makine, Erik Orsenna, Mathias Énard und Antoine Volodine. 2011 erhielten sie gemeinsam den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis.
Marie Luise Knott (geboren 1953 in Köln) ist Kritikerin und Übersetzerin. Sie war langjährige Verlagslektorin (1978 – 1986), Gründerin und Leiterin der deutschsprachigen Ausgabe von Le Monde diplomatique (1995-2006) und lebt seit 2006 als freie Autorin, Journalistin und Übersetzerin in Berlin. Sie schreibt u.a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Deutschlandfunk, Perlentaucher und Tagesspiegel über zeitgenössische Kunst und Literatur. Sie ist Vorstandsmitglied des Deutschen Übersetzerfonds und war Kuratorin der Ausstellung „Hannah Arendt – Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit” (2006, gemeinsam mit Barbara Hahn). Zuletzt erschien von ihr: „Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt”, Berlin 2011.
Olaf Kühl (geboren 1955 in Sanderbusch) ist Literaturübersetzer und Russland-Referent des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Er studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. 1995 folgte die Promotion mit einer Arbeit zum Thema Stilistik einer Verdrängung. Zur Prosa von Witold Gombrowicz. Seit 1982 veröffentlicht Olaf Kühl literarische Übersetzungen, hauptsächlich aus dem Polnischen, aber auch aus dem Russischen, Ukrainischen und Serbokroatischen. Zu den übersetzen Autoren und Autorinnen zählen u. a. Witold Gombrowicz, Adam Zagajewski, Andrzej Stasiuk und Dorota Masłowska. Im Herbst 2011 erschien bei Rowohlt Berlin sein Debütroman „Tote Tiere“. Im Wintersemester 2011/12 hatte er die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessor für Poetik der Übersetzung an der Freien Universität Berlin inne.Cécile Wajsbrot (geboren 1954 in Paris) ist zeitgenössische französische Romanautorin und lebt in Paris und Berlin.
Cécile Wajsbrot studierte in Paris vergleichende Literaturwissenschaften und arbeitete anschließend als Französischlehrerin und Rundfunkredakteurin. Sie hat Bücher aus dem Englischen und Deutschen ins Französische übersetzt, u.a. Virginia Woolf, Suzan Wicks, Charles Olson, Gert Ledig, Wolfgang Büscher und Marcel Beyer. Sie war Mitarbeiterin der Zeitschriften Autrement, Les nouvelles Littéraires und Le Magazine littéraire. Wajsbrot, deren Romane oft einen autobiographischen Hintergrund haben, thematisiert u.a. das Schweigen zwischen den Generationen über traumatische Ereignisse der Vergangenheit, sowohl in Bezug auf die französische als auch die deutsche Nachkriegsgeschichte.