Gespräch
Parallele I–IV - Gespräch
Publikumsgespräch mit Erika Balsom und Harun Farocki
Weil der Film in der Lage ist, Spuren physischer Wirklichkeit zu verzeichnen und diese Momente als dauerhafte Bilder zu bewahren, haben die Bildschirmwelten des Kinos stets ihren direkten, hinweisenden Bezug auf das Reale beibehalten. Was geschieht, wenn sich die computergenerierten Bilder des Videospiels – die keine solche indexikalische Bindung aufweisen – sich den Film aneignen, das bisher wichtigste Medium visueller Welterschaffgung. Wie verändert sich unsere Beziehung zu Bildschirmhelden, wenn wir uns nicht länger mit echten Körpern identifizieren, sondern mit affektlosen Avataren, die nur ansatzweise über ein Gesicht verfügen?
Harun Farockis vierteilige Installation Parallele I-IV (2012-2014) stellt sich diese Fragen. Sie verfolgt die Entwicklung computergenerierter Grafiken von den ersten zweidimensionalen Schemen vor etwas mehr als 30 Jahren bis zu den heutigen fotorealistischen Bildwelten. Anhand von Beispielen aus beliebten Spielen wie Minecraft, Grand Theft Auto und Assassin's Creed und unter Verwendung einer essayistischen Kommentarstimme spannt Farocki einen Bogen von den Topoi der Naturdarstellung über die Möglichkeiten körperlicher Bewegung bis zu den Konsequenzen der vorherrschenden Ich-Perspektive und den eigentümlichen physikalischen Gesetzen des Gamespace. Parallele I-IV enthält außer den zweckentfremdeten Exzerpten auch Aufnahmen von Trickzeichnern bei der Arbeit und macht so die zur Herstellung der algorithmischen Simulakren nötige Arbeit sichtbar. Farocki setzt den Schwerpunkt nicht so sehr auf der Neuheit dieser Darstellungsform, sondern er reiht das Videospiel in die lange Geschichte des Bildersehens ein und erkundet seine Verwandtschaft mit Weltvorstellungen aus vorhellenischer Zeit. Implizit nimmt er Bezug auf klassische Texte der Filmtheorie und erstellt mit ihrer Hilfe einen Vergleichsrahmen, der teleologischen Fortschrittserzählungen der Filmgeschichte entgegentritt.
In seiner Histoire générale du cinéma behauptet Georges Sadoul, die ersten Kinozuschauer seien weniger von erzählerischer Handlung, als vom Rauschen der Bäume im Wind fasziniert gewesen. In Parallele I bemerkt der Kommentar dazu: „In Filmen gibt es den Wind, der weht und den Wind, den eine Windmaschine erzeugt hat. Bei Computerbildern gibt es nicht zweierlei Wind. Ein neuer Konstruktivismus.“ Wenn die Faszination für diese Bilder nicht mehr darauf beruht, dass man sich durch sie die Kontingenzen der Welt erschließen kann: Worin besteht sie dann? Parallele I-IV gibt eine spekulative Antwort auf diese Frage.
Parallele I Zweikanal-Videoinstallation, D 2012, Farbe, 16 min
Parallele II Einkanal-Videoinstallation, D 2014, Farbe, 9 min
Parallele III Zweikanal-Videoinstallation, D 2014, Farbe, 7 min
Parallele IV Einkanal-Videoinstallation, D 2014, Farbe, 11 min