Symposium

Brecht und Mei Lanfang

Chinesische und deutsche Theatermoderne

Mo 24.4.2006
Ort: Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Berlin-Mitte
20h
Eintritt frei

Eine Kooperation des Hauses der Kulturen der Welt und des Literaturforums im Brecht-Haus. Teilnehmer: Wolfgang Kubin, Sinologe, Übersetzer und Schriftsteller (Bonn); Ernst Schumacher, Brechtforscher, Theaterkritiker und -wissenschaftler (Berlin); Chen Xinyi, Regisseurin der Oper "Mei Lanfang" (Beijing); Mei Baoijiu, Operndarsteller (Beijing).Moderation: Stefan Mahlke, Historiker und Journalist (Berlin).


Bertolt Brecht, „Über das Theater der Chinesen“

Daß der junge Schauspieler zunächst gezwungen wird, den alten zu imitieren, besagt nicht, daß sein Spiel zeitlebens eine Imitation sein wird … Der chinesische Schauspieler lässt offenkundig unter den Augen seines Publikums bestimmte Gesten fallen, mit Aplomb, er wirft sie weg, damit einen Aufruhr ästhetischer Art erregend, selber einen aufrührerischen Akt vollziehend, ihn vollziehend mit dem Einsatz seines ganzen Rufs, den er auf diese Karte setzt. Nicht der Neuerung wird man ihn rühmen, nur des Wertes, den man seiner Neuerung zumisst. Es war schwer, das Alte zu können, und er konnte es. Und er hatte seine Neuerung aus dem Alten zu entwickeln. So kommt in die Stetigkeit, die das Kennzeichen einer wirklichen Kunst (wie einer Wissenschaft) ist, das natürliche Moment des Aufruhrs, der deutlich sichtbare, beurteilbare, verantwortliche Akt des Bruchs mit dem Alten. Nur wer die typisch oberflächlichen Gestaltungen westlicher Schauspieler kennt im Sinn hat, die ihre Figuren aus aus lauter kleinen nervösen Zügen zusammensetzen, wenig besagen, mehr oder weniger privaten Ursprungs sind, nichts Typisches bedeuten, wird sich nicht vorstellen können, daß Abänderungen von Gesten wirkliche grundlegende Neuerungen in der Gestaltung einer Figur sein können.

Die Chinesen zeigen nicht nur das Verhalten der Menschen, sondern auch das Verhalten der Schauspieler. Sie zeigen, wie die Schauspieler die Gesten der Menschen in ihrer Art vorführen. Denn die Schauspieler übersetzen die Sprache des Alltags in ihre eigene Sprache. Sieht man also einem chinesischen Schauspieler zu, so sieht man nicht weniger als drei Personen gleichzeitig, einen Zeigenden und zwei Gezeigte.

Zitiert aus: Bertolt Brecht, „Über den Beruf des Schauspielers“, in: Schriften zum Theater 4, 1933-1947, Frankfurt/Main 1963