Kulturelles Gedächtnis

Internationales Symposium

Sa 25.3.2006
10h
Eintritt frei

Eine Veranstaltung des Hauses der Kulturen der Welt und der Bundeszentrale für politische Bildung

Internationale Wissenschaftler und Künstler umreißen chinesische wie auch europäische Perspektiven auf die so brennenden wie komplexen Fragen zum kollektiven, manifestierten Gedankengut von Kulturen, die nicht nur für Erinnerungspolitiken, sondern gerade für die künstlerische Praxis existenziell wichtig sind.

10 h Geschichte als Seifenoper: Fernsehen als Teil der Erinnerungskultur in China
Präsentation von Michael Lackner, Sinologe, Universität Erlangen
Moderation: Christoph Müller-Hofstede (Bundeszentrale für Politische Bildung)

Die Auseinandersetzung um die chinesische Geschichte wird in den letzten Jahrzehnten auch und vor allem im chinesischen Fernsehen geführt (national werden im Durchschnitt 600 Millionen Zuschauer erreicht). Ausschnitte aus der 52-teiligen "history soap" Auf dem Weg zur Republik zeigen, wie Geschichtspolitik in der VR China medial inszeniert wird.

12 h Kulturelle Erinnerung als Künstlerische Praxis
Zhang Dali, Performancekünstler, Beijing, Xi Chuan, Poet und Übersetzer, Beijing, Wang Qingsong, Künstler, Beijing
Moderation: Anne-Marie Bonnet, Kunsthistorikerin, Bonn

Im Spannungsfeld zwischen staatlicher Autorität und der angeblichen Freiheit des Kapitalismus stehen die Künste vor der Aufgabe, Motive des kulturellen Gedächtnisses aus ihrer Instrumentalisierung durch Politik und Kommerz zu befreien, oder - falls eine solche Befreiung gar nicht möglich sein sollte - auf die dahinter liegenden Probleme hinzuweisen. Drei Künstler aus Beijing, deren Arbeit im Zwischenraum einer - oft ironischen, vielleicht utopischen - Analyse ihrer Lebenswirklichkeit und der eigenen Praxis bestehen muss, diskutieren über Notwendigkeit und Möglichkeiten der zeitgenössischen chinesischen Kunst.

15 h Positionierung zum Gedächtnis I: Ausstellungspraxis in China
Hou Hanru, Kurator und Kunstkritiker, Paris, Carol Lu, Kuratorin, Beijing, Pi Li, Kurator, Beijing
Moderation: Ute Meta Bauer, Kuratorin, Cambridge, USA

Das enorme wirtschaftliche Interesse des Westens an China hat auch die Neugier auf die chinesische Kultur geweckt. Zahlreiche Ausstellungen in Europa und Amerika bedienen dieses Verlangen, wobei sich aber die Frage stellt, inwiefern die Auswahl oder die Intention auch von chinesischer Seite her bereits auf die Rezeption durch die westlichen Betrachter ausgerichtet ist, oder ob der aktuelle Strom chinesischer Kunst selbst dazu beiträgt, das Kunstsystem und -verständnis global zu beeinflussen. Ist die Förderung und Verbreitung zeitgenössischer Kunst ein Akt der Integration, der politischen Teilnahme, der Bewahrung? Chinesische Kuratoren dreier Generationen diskutieren über ihre Erfahrungen in China und im Ausland.

17 h Positionierung zum Gedächtnis II: Musik, Tanz und Theater
Liu Sola, Komponistin, Beijing, Elizabeth Wichmann-Walczak, Theater- und Tanzwissenschaftlerin, Hawaii, Cao Kefei, Regisseurin, Beijing, Heiner Goebbels, Komponist, Gießen
Moderation: Erika Fischer-Lichte, Berlin

Die darstellenden Künste Chinas sind im Ausland vor allem als Zeugnisse einer traditionellen Überlieferung bekannt, und laufen darin Gefahr in das Feld der „touristischen Attraktionen“ zu fallen und zum Exportgut einer national gefärbten Politik zu werden. Die akademische Tradition der verschiedenen Darstellungsformen hingegen bietet in sich aber bereits genug Konfliktpotential, um auf verschiedenste Weise als politisch zu gelten. Dies trifft sich mit verwandten Modellen der europäischen Bühnen, die im zeitgenössischen China nicht nur aktuell aufgegriffen werden, sondern vielmehr aus der eigenen politischen und künstlerischen Erfahrung her kommentiert werden.

Die Referenten

Michael Lackner, Professor für Sinologie an der Universität Erlangen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte und Gegenwart der Beziehungen zwischen China und dem Abendland, die neuere chinesische Geistesgeschichte sowie die Geschichte des politischen Denkens in China.

Zhang Dali lebt und arbeitet als Künstler in Beijing. Mit seinen Graffiti-Aktionen wandte er sich gegen den Abriss historischer Stadtviertel und wurde zuletzt mit seinen Arbeiten zum Thema der Ausbeutung der Wanderarbeiter international wahrgenommen.

Xi Chuan studierte Englisch an der Universität von Beijing und war 1988 Mitbegründer des Lyrikmagazins „Qingxiang“ (deu.: Tendenz), das jedoch nach nur drei Ausgaben verboten wurde. Seit 1995 war er einer der Herausgeber von „Modern Han Poetry“ und wurde 1996 in den Vorstand des chinesischen Dichterverbandes gewählt.

Wang Qingsong schloss 1991 an der „Academy of Fine Arts“ in Sichuan sein Studium der Malerei ab. Er lebt seit 1993 in Beijing, wo er hauptsächlich mit den Medien der Fotografie und Installation arbeitet, die er in großformatigen inhaltlich überbordenden Bildern verbindet.

Website: www.wangqingsong.com

Anne-Marie Bonnet, Professorin für Kunstgeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn

Hou Hanru, lebt und arbeitet als unabhängiger Kurator und Kunstkritiker seit 1990 in Paris. Zu seinen bekanntesten Ausstellungen gehört die „Zone der Dringlichkeit / Zone of Urgency“, die 2003 als Teil der Biennale von Venedig zu sehen war.

Carol Lu vertritt die jüngste Generation der chinesischen Kunstszene, die sie als Kuratorin und Kunstkritikerin mitgestaltet. Sie schreibt für viele chinesische, wie auch internationale Kunstmagazine, und ist Mitarbeiterin des „Asia Art Archive“. Nach ihrem Abschluss in Critical Studies an der Kunstakademie von Malmö/Schweden zog sie jüngst zurück nach Beijing.

Pi Li schloss 2001 sein Studium in Kunstgeschichte an der Akademie der Künste in Beijing ab. Er publizierte in zahlreichen Kunstzeitschriften und arbeitete als Kurator unter anderem für die Wanderausstellung „Under Construction“, die 2001 bis 2003 in verschiedenen asiatischen Ländern gezeigt wurde. 2005 gründete er zusammen mit Waling Boers (Büro Friedrich / Berlin) die unabhängige Galerie „Universal Studios“ in Beijing.

Ute Meta Bauer studierte Visuelle Kommunikation, Bühnenbild und Kunsttheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und arbeitet seit 1986 als freie Kuratorin. 2002 war sie Co-Kuratorin der Documenta11 in Kassel und ist seit 2005 Direktorin des Visual Arts Programms am MIT.

Parallel zu ihrer schriftstellerischen Tätigkeit machte sich Liu Sola als Sängerin und Komponistin einen Namen. 1987 und 1989 ging sie für mehrere Monate in die USA, wo sie sich intensiv mit Blues und Jazz auseinander setzte. Mitte der achtziger Jahre gründete sie eine Frauenrockband, im September 2001 das erste chinesische Improvisationsensemble. Liu Sola lebt in Beijing und New York.

Elizabeth Wichmann-Walczak ist Professorin für Theater und Tanz sowie Direktorin für das Asiatische Theaterprogramm am Manoa Department of Theatre and Dance der University of Hawaii. Sie übersetzte und inszenierte mehrere chinesische Jingju-Opern und wurde als erstes ausländisches Ehrenmitglied in das National Xiqu Institute aufgenommen.

Cao Kefei studierte Germanistik und Theaterwissenschaften in der Shanghai Technical University und der Universität von Bern. In China arbeitet sie als Theaterregisseurin und führte 2001 als einer der ersten Regisseure überhaupt ein Stück von Thomas Bernhard vor chinesischem Publikum auf.

Heiner Goebbels studierte Soziologie und Musik, spielte in verschiedensten musikalischen Konstellationen, schrieb Orchester- und Kammermusik, Musiktheater, Hörstücke, Theater-, Film-, Ballettmusik. Er ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und der Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt. Seit 1999 ist er Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen.

Erika Fischer-Lichte studierte in Hamburg und an der FU Berlin, wo sie 1972 in Slavistik promovierte. Seit 1996 hat sie eine Professur am Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität inne. Zu ihren Veröffentlichungen gehören die "Ästhetik des Performativen" von 2004, sowie zahlreiche Bücher über die Geschichte des Theaters.

Christoph Müller-Hofstede, Sinologe und Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Referent in der Bundeszentrale für politische Bildung, verantwortlich u.a. für Migrationsfragen und interkulturelle Themen.