Curator's Selection

Amit Goren, Tel Aviv

Fr 16.12.2005
19h
Eintritt: 5 €, ermäßigt 3 €
Juliano Mer Khamis/Danniel Danniel, Arna's Children, Copyright: Promo

Makom - ein abgelegener Ort

In unserem virtuell-digitalen, postmodernen Zeitalter der ungezählten Sender und Kanäle wächst das Bedürfnis nach Wirklichem, Konkretem und Bedeutsamem. Ein besonderer Ort (Hebräisch „makom“) kann zu einem vielsagenden und erhellenden Fragment der Realität werden. Umgekehrt kann auch der filmisch oder künstlerisch fokussierte Blick einem Ort neue Bedeutung verleihen und ihn als Schauplatz von Entdeckungen völlig neu entstehen lassen.

Zwanzig israelische Filmemacher und Autoren wurden vom Produzenten Amit Goren beauftragt, je ein fünfminütiges Digitalvideo über einen Ort ihrer Wahl zu drehen. Das konnte ein Schauplatz eines bestimmten Ereignisses sein, es konnte eine dramatische Begebenheit oder Situation darin vorkommen, aber auch eine persönliche Geschichte oder Erinnerung - in jedem Fall sollte der Ort für den jeweiligen Regisseur eine ganz besondere Bedeutung haben.Das Ergebnis ist eine einfallsreiche und vielfältige Sammlung von Geschichten über Orte. In seiner Gesamtheit erzählt das Projekt darüber hinaus von der conditio humana in Israel am Beginn des dritten Jahrtausends.


Moscovia

Kurzfilm von Aner Preminger, 6 min., Amit Goren: Makom Project, Israel 2002, OmeU

Der Palästinenser Jamal Amru wurde vom israelischen Allgemeinen Sicherheitsdienst (GSS) 25 Tage im Moscovia-Gefängnis festgehalten. Er erzählt seine Geschichte der Folter und der Angst in diesem Gefängnis, das in einem ganz normalen Gebäude am Russian Compound, einem Platz mitten in der Jerusalemer Innenstadt, untergebracht ist. Direkt gegenüber den Folterkellern des GSS steht der Gerichtshof. Vom Haus des staatlichen Rundfunks aus sieht man das Rathaus. Zur russischen Kirche ist es nur ein kurzer Fußweg. Auf der anderen Seite des Platzes liegt ein belebtes Geschäftsviertel mit intensivem Nachtleben und ein ehemaliges Gefängnis der britischen Mandatsverwaltung, aus dem inzwischen ein Museum geworden ist. Die Israelis eilen über den Platz auf dem Weg zur Arbeit, während Palästinenser auf Nachricht von ihren Verwandten im Moscovia-Gefängnis warten.


Map

Dokumentarfilm von Amit Goren, Israel 2003, 48 min, OmeU

Map ist ein Film in sechs Kapiteln und konzentriert sich auf Gefühle des vertrieben Seins und der Entfremdung, die mit Konflikten, Exil, Deportationen und erzwungener oder freiwilliger Migration einher gehen. Sechs Erzählungen von identischer Länge ergeben eine umfangreiche Collage, zu der auch Teile von Gorens Familiengeschichte, sein Privat- und Berufsleben, das Leid der palästinensischen Flüchtlinge, Anekdoten zur Geschichte Israels und Einblicke in das Leben mongolischer Nomaden gehören. Die Erzählungen sind abwechselnd harmonisch und dissonant, fragmentarisch und chronologisch. Einige sind in der Gegenwart angesiedelt, andere enthalten historisches Material und neuere Filmschnipsel. In der Summe entfalten sie ein traumartiges Kaleidoskop von Bildern und Dialogfetzen. Gorens Kamera verwandelt klar definierte Orte wie Tel Aviv, New York, Kairo, Paris, Los Angeles, die mongolische Tundra, die Golanhöhen und die jordanisch-israelische Grenze in deterritorialisierte Übergangsräume und erzählt darin Geschichten von Menschen und ihren Ängsten, ihrer Schönheit, ihren Verlusten, ihrer Gleichgültigkeit, Grausamkeit, Zuneigung und Intimität. Die Erzählungen sind zugleich eigenständig und untereinander verbunden. Durch ihren linearen Aufbau und die Montage simuliert der Film die Subjektivität und die unterbewussten Perspektiven, mit denen wir eine verworrene und schwer fassbare Realität wahrnehmen. Genau wie wir selbst vermengt auch Map die persönliche mit der kollektiven Erfahrung, das Wissen mit der Erinnerung.


Carousel

Kurzfilm von Meir Wigoder, 5 min., Amit Goren: Makom Project, Israel 2002, OmeU

Bei den Feierlichkeiten anlässlich seiner „ersten 50 Jahre“ verwendete der Staat Israel einen großen Teil des Raumes, der Energie und der Ressourcen für die Zurschaustellung militärischer Errungenschaften. Inhalt und Stil der Präsentation geraten in diesem Film zum ironischen, sarkastischen und beunruhigenden Profil eines Landes, das ununterbrochen Krieg führt.


Ramallah Short Cuts, Summer 2001

Kurzfilm von Suha Arraf, 5 min., Amit Goren: Makom Project, Israel 2002, OmeU

Auf der Hauptstraße im Zentrum der Stadt Ramallah in den besetzten Gebieten pulsiert das Leben rund um die Uhr. Ihr reichhaltiges und farbenprächtiges menschliches Panorama ist ein getreues Abbild der sozialen und politischen Verfassung des palästinensischen Volkes - es offenbart dessen Wut und Trauer, ebenso wie die Freuden und Banalitäten des Alltags mitten im Kampf um Unabhängigkeit.


Arna's Children

Dokumentarfilm von Juliano Mer Khamis und Danniel Danniel, Israel/Niederlande 2004, 84 min, OmeU

Der Film erzählt die Geschichte einer Theatertruppe, die von Arna Mer Khamis gegründet wurde. Arna stammte aus einer Familie von Zionisten und heiratete 1950 den palästinensischen Araber Saliba Khamis. In der West Bank gründete sie eine alternative Schule für Kinder, deren Leben durch die israelische Besatzung völlig aus der Bahn geworfen wurde. Arnas Theatertruppe half den Kindern von Jenin, ihre tagtäglichen Enttäuschungen, ihren Zorn, ihre Verbitterung und ihre Angst zum Ausdruck zu bringen. Arnas Sohn Juliano, der Regisseur des Films, war auch einer der Regisseure am Theater von Jenin. Mit seiner Kamera nahm er von 1989 bis 1996 die Kinder bei Proben auf. Nun kehrte er zurück um herauszufinden, was aus ihnen geworden war. Yussef verübte 2001 in Hadera ein Selbstmordattentat. Ashraf wurde in der Schlacht von Jenin getötet, Alla leitet eine Widerstandsgruppe. Juliano gehört heute zu den prominentesten Schauspielern in der Region. Er unternimmt in diesem Film eine Zeitreise nach Jenin und versucht, die Lebensentscheidungen jener einstigen Kinder nachzuvollziehen, die er sehr mochte und mit denen er gearbeitet hatte. Vor acht Jahren wurde das Theater geschlossen, und das Leben in der Stadt erstarrte von da an in allgemeiner Lähmung. Der Film wechselt die Zeitebenen und offenbart die Tragödie und den Horror eines Lebens unter den ausweglosen Umständen der israelischen Besatzung.


Gesamtlaufzeit: 147 min.

Amit Goren ist Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Gründungsmitglied des Israeli Documentary Forum. „Als Immigrant bin ich fasziniert von der Wirkung, die der Ort (Makom) auf die eigene Identität hat. Wie beeinflussen seine physischen wie emotionalen und spirituellen Qualitäten die Wahrnehmung von Verbundenheit und Entfremdung. Ich lebe in Israel seit nun 21 Jahren. In dieser Zeit ist viel geschehen in diesem Land, dennoch sind wir immer noch konfrontiert mit moralischen Fragen zur andauernden Okkupation palästinensischer Gebiete und zu den endgültigen internationalen Grenzen, mit dem gefährlichen Riss zwischen Arm und Reich, zwischen religiösem und weltlichem Israel. Dies Land ist von Menschen mit mehr als 120 unterschiedlichen Ursprüngen und einer großen Vielfalt religiöser Bindungen bewohnt. Die Gesellschaft trägt die schwere Herausforderung von zahlreichen Immigranten und Minderheiten und ihrer kulturellen Differenzen. Es trägt die Narben von endlosen Kriege, Okkupation und Terrorismus. Seine Einwohner sind in ständigem Dialog über Vorteile und Nachteile dieses Ortes, an dem zu leben sie gewählt haben. Viele haben klare Vorstellungen von anderen Heimaten, die sie zurückgelassen haben. Das Verständnis der Heimat ist darum eine lebenslang offene Frage."

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