Konferenz
De-Centering Narratives
Internationale Solidaritäts- und Befreiungsbewegungen am Rande des kunsthistorischen Kanons
Während des Kalten Krieges verbanden Solidaritätsnetze die kubanische Revolutionsregierung, die Anti-Apartheid-Bewegung Südafrikas, die palästinensische Revolution und andere antikoloniale Befreiungsaufstände miteinander. Künstler*innen und Kollektive spielten für die Mobilisierung dieser internationalen Netzwerke eine wesentliche Rolle: Mit ihren visuellen Sprachen und Praktiken eigneten sie sich öffentliche Räume an, prägten Protestmärsche, städtische Mauern und Gemeindezentren. Wird dieses Vermächtnis in der Kunstgeschichtsschreibung angemessen berücksichtigt? Auf welchen historischen Quellen basieren ihre Erzählungen und Erinnerungen? In welchem Zusammenhang stehen sie mit gegenwärtigen Solidaritätskämpfen?
Die Forschungsarbeiten rund um die Ausstellung Zeit der Unruhe haben diese vergessenen oder kaum erforschten Geschichten aus den 1960er und 1980er Jahren zu Tage gefördert. Geografisch überschritten sie häufig sowohl die binäre Ost-West-Konfiguration des Kalten Krieges wie auch die Trennung zwischen Norden und Süden und brachten so die kanonischen Narrative der Kunstwelt durcheinander: Ausgehend von der Internationalen Kunstausstellung für Palästina 1978 in Beirut führten Verbindungslinien einer Reihe transnationaler Solidaritätsausstellungen zu Netzwerken, die in Kuba 1966 geknüpft wurden und Südamerika, Afrika und Asien in einem gemeinsamen Austausch verbanden. Sie reichten vom 1972 in Santiago de Chile gegründeten Museo de la Solidaridad Salvador Allende über die militanten Ausstellungen und Interventionen der Künstler*innen der Jeune Peinture in Frankreich und die von der sandinistischen Führung 1980 initiierte Sammlung in Solidarität mit der Bevölkerung Nicaraguas bis zur im Jahr 1979 ins Leben gerufenen Wanderausstellung Art Contre/Against Apartheid.
Der kunsthistorische Kanon hat sich kaum mit diesem Paralleluniversum von Praxis und Theorie beschäftigt. Seine Archivspuren schlummern an privaten und unkonventionellen Orten, seine Erzählungen überleben vorwiegend in Form von Zeugnissen in Ich-Form oder der Oral History. Anlässlich der Publikation Past Disquiet. Artists, International Solidarity, and Museums-in-Exile, herausgegeben von Kristine Khouri und Rasha Salti, bringt die Konferenz De-Centering Narratives einige Autor*innen des Bandes sowie Projektbeteiligte zusammen. Ihre Forschungen haben Konzepte und Ansätze hervorgebracht, die die Aufmerksamkeit auf Phänomene jenseits der engen Grenzen des vorherrschenden kunsthistorischen Kanons lenken.
Mit Paula Barreiro López, Catherine Dossin, Anselm Franke, Paz Guevara, Kristine Khouri, André Odendaal, Rasha Salti
Teil von Kanon-Fragen
Programm
15h: Einführung
Paz Guevara, Kristine Khouri, Rasha Salti
15.30h: Für eine geopolitische Analyse der Kunstwelt: Die Jeune Peinture
Catherine Dossin
Inwiefern erhellt der geopolitische Ansatz das Verständnis der Kunstwelt, ihrer Machtstrukturen und Konflikte? Catherine Dossin stellt in ihrer Geschichtsschreibung der modernen Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg die transnationalen Austauschbeziehungen in den Vordergrund. Mit diesem Perpektivwechsel plädiert sie für eine De-Zentrierung der vorherrschenden nationalen Paradigmen, die noch immer auf der Struktur Zentrum – Peripherie basieren. In ihrem Vortrag stellt Dossin ihren geopolitischen Begriffsrahmen vor und betrachtet durch diesen die Pariser Jeune Peinture und ihrer Positionierung als aufständische und gegen das Establishment gerichtete Bewegung. Die Künstler*innenvereinigung engagierte sich für die internationale Solidarität ebenso wie für lokale Kämpfe. Sie zog französische Künstler*innen der radikalen Linken an und bot einen Zufluchtsort für internationale Künstler*innen, die nach ihrer Flucht vor den in Argentinien, Brasilien, Chile, Griechenland, Portugal und Spanien herrschenden Diktaturen politisches Asyl suchten.
16.15h: Spekulative Narrative: Essay-Ausstellungen
Anselm Franke
Haben die gegenwärtigen Tendenzen der Globalisierung und Ausweitung von zuvor ausgeschlossenen Kunstsammlungen und Kunstgeschichten eine Chance, den Eurozentrismus zu überwinden? Schließlich können die kolonialen Aneignungen und Ausschlüsse der Vergangenheit nicht korrigiert werden, solange man nicht die Probleme der Institution Kunst selbst – ihre Narrative und Rahmenbedingungen – schonungslos offenlegt. In seinem Vortrag unterzieht Anselm Franke das Paradigma der globalisierten Kunst einer kritischen Befragung. Er argumentiert, dass das Narrativ der „Inklusion“ sich bloß als eine weitere Aneignung entpuppen könnte; als eine Übertragung des westlichen Denkmodells auf die globale Kunst. Mit Rückblick auf das 2016 am HKW gestartete Programm Kanon-Fragen geht Franke auf das Prinzip der Essay-Ausstellung ein und auf die institutionenkritische Praxis, die er damit verfolgt. Solche Ausstellungen fügen dem museal etablierten Kanon nicht einfach neue Kapitel hinzu, sondern sie stellen seine Strukturen in Frage. Essay-Ausstellungen funktionieren nach dem Vorbild spekulativer Erzählungen: Sie bieten einen reflexiven Rahmen, der es ermöglicht, die Reproduktion von Grenzziehungen aufzuspüren und ihnen etwas entgegenzusetzen. Denn durch solche Grenzen werden bis heute noch die ephemersten Aspekte der ästhetischen Wahrnehmung in politische und historische Machtverhältnisse eingeschrieben.
17h: Diskussionsrunde und Q&A
Moderiert von Rasha Salti
18h: “Let it return” – Von einer Archivgründung und der Transformation eines Hochsicherheitsgefängnisses zum Nationalmuseum in Südafrika
André Odendaal
Wie wird die Geschichte des Kampfes gegen die Apartheid aus kulturgeschichtlicher Sicht in Museen und Archiven betrachtet? Was waren die Ansätze in den 1990er Jahren und welche Ideen werden heute aufgegriffen, 25 Jahre nach Einführung der Demokratie? Der Historiker André Odendaal wurde von Nelson Mandelas erstem Kabinett damit beauftragt, die Gefängnisinsel Robben Island in ein Museum zu verwandeln. Außerdem hat er das Mayibuye-Zentrum für Geschichte und Kultur (mayibuye bedeutet „Lasst es zurückkehren“) gegründet, in dem Archive und Kunstsammlungen sowie Poster, Broschüren, Fotografien und Filme gehütet werden. Es gibt so einstmals verbotenen Materialien und bedrohten Perspektiven einen Raum. Das Zentrum beherbergt auch die Sammlung Art Contre/Against Apartheid, die 1983 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, die Welt gegen die Apartheid in Südafrika zu mobilisieren. Odendaal beleuchtet in seinem Vortrag die Debatten darüber, wie Erinnerung gestaltet sein kann: das Gedenken an den Befreiungskampf und das Erbe des Aktivismus in Form eines Museums – im Falle des Robben Island Museum – und das Gedenken in Form eines Archivs – im Falle des Mayibuye Center.
18.45h: Kultur-Guerillas: Solidaritätsnetzwerke von Nicaragua bis Kuba
Kristine Khouri, Paula Barreiro López
Wie werden Solidaritätsnetzwerke zu Formen der Zusammenarbeit, bei denen sich politischen Geschichte und Kunstgeschichte miteinander verschränken? Seit den 1960er Jahren wird der Begriff der „Kultur-Guerilla“ direkt auf die antikolonialen und antiimperialistischen revolutionären Kämpfe bezogen. Die von Augusto César Sandino am Ende der 1920er Jahre gegen die US-Militärintervention in Nicaragua in Anschlag gebrachten Guerillataktiken erlangten Modellfunktion für künftige revolutionäre Bewegungen und kulturelle Solidaritätsnetzwerke in verschiedenen Ländern der Region. In ihrem Vortrag verfolgt Kristine Khouri die internationale Mobilisierung von Künstler*innen in Solidarität mit der Bevölkerung Nicaraguas, die von der sandinistischen Revolution 1979 ausgelöst wurde. Im Gegenzug verknüpft Paula Barreiro Lopéz das revolutionäre Programm Kubas mit der kubanischen Unterstützung von Dekolonisierungsbewegungen. Sie thematisiert den „Kultur-Guerilla“-Kampf, der von Kuba ausging, einem Land, das als ein transnationales Zentrum der Kunstproduktion in den 1960er, 70er und 80er Jahren gelten kann.
19h: Diskussionsrunde und Q&A
Moderiert von Paz Guevara
20.15h: Abschluss-Statements
Moderiert von Paz Guevara, Rasha Salti