Demonstrations, Gespräch
Wisdom Techniques
Die Verflechtung von Wissen und der Technosphäre hat eine sehr subtile, jedoch entscheidende Dimension: die kollektiv, mental und körperlich tief verankerten Praktiken und Routinen, die die Voraussetzungen darstellen, um die nicht-menschlichen Dynamiken globalen Wandels wahrzunehmen, sie kohärent zu begreifen und auf sie adäquat zu reagieren.
Welches sind die Regime der Sinnesbildung, die asketischen Modi des Erforschens und die Kultivierungstechniken des Mentalen, die uns etwas lernen und verstehen lassen? Was benötigen wir – im Angesicht der Notlage, die das Anthropozän darstellt – um diese zu modifizieren und neu zu gestalten? Wie lassen sich Weisen der Forschung etablieren, die die Interdependenz von Wissen und der Technosphäre formen, statt sie zu ignorieren? Eine solche Reflexion der technosphärischen Bedingungen des Wissens legt die Notwendigkeit einer neuen Form von „Weisheit“ nahe. Der Abend stellt einen konstruktiven Zugang zu den „Selbsttechniken“ und „Anthropotechniken“ von Wissen und seiner Verbreitung vor. Er untersucht alte und neue Wissenspraktiken durch schöpferische Einübungen mit offenem Ausgang: als körperliche Erfahrungen und Imaginationspraktiken, die sich nicht allein mit gesicherten Tatsachen, sondern mit Gewohnheiten des Wahrnehmens, Fühlens und Handelns auseinandersetzen.
Mit John Tresch, Jeremy Bolen & Andrew Yang, Sasha Engelmann & Bronislaw Szerszynski in Zusammenarbeit mit Tomás Saraceno, FORMATIONS (Alex Martinis Roe & Melanie Sehgal mit Roman Brinzanik, Deborah Haaksman, Rebekka Ladewig, Julian Schubert, Hendrik Weber). Welcome: Christoph Rosol
19 h
John Tresch: Es gibt keine Religionen und Wissenschaft ist eine davon
Welchen Platz haben die Techniken des Körpers, Verstandes und Geistes, die Michel Foucault „Praktiken des Selbst“ nannte, in der Technosphäre? Das weite Feld der von Peter Sloterdijk so betitelten „Anthropotechniken“ – jene Regime des Trainings und der wiederholenden Einübung, durch die Menschen sich transformieren – lässt sich als ein bestimmendes Faktum menschlicher Geschichte einordnen. Neue Trainierungen ermöglichen neue Modi des Fühlens, Erkennens, Denkens und Handelns; durch das Verweben von Anthropotechniken zu neuen Kombinationen und in ihrer individuellen und kollektiven Handhabung hat sich die Menschheit stets neu erschaffen. Asketische Disziplinen sind oft mit religiösen Ordnungen assoziiert worden. Doch was sind die Anthropotechniken, die in die Produktion wissenschaftlichen Wissens – in der Beobachtung, dem Experiment, der Erfindung – eingehen? Welche Praxisregime haben Expertise hervorgebracht? Der Vortrag schlägt eine „anthropotechnische“ Geschichte der modernen Wissenschaft als ein Mittel vor, um techno-wissenschaftliche Modi der Subjektformierung mit denen anderer Abstammung zu vergleichen und zu verknüpfen. Wie könnte solch eine Geschichte dazu beitragen, die reflexiven Kapazitäten und ethischen Gewohnheiten zu kultivieren, die es braucht, um die Technosphäre zu gestalten, für sie zu sorgen?
19.30 h
Jeremy Bolen und Andrew Yang: Potentialität und partielles Wissen. Eine Übung
Sich einen Reim darauf zu machen, wo, was und wie wir in der Technosphäre sind, entzieht sich jedem einfachen Verständnis. Der Geowissenschaftler Peter Haff verleiht einer allgemeinen Sorge Ausdruck, wenn er behauptet, dass unsere habituelle Aufmerksamkeit für unmittelbare Erfahrungen das Risiko birgt, uns von den oft diffusen und unzugänglichen Metakomplexitäten der anthropozänen Verhältnisse abzulenken. Unsere auf Menschengröße geeichten Wahrnehmungen verzerren die Wahrnehmung des Ganzen. Die Frage nach einer neuen Ästhetik innerhalb der Technosphäre ist demzufolge, wie Menschen als „subordinierte Teile“ teilnehmen, teilhaben und ihre partielle praktische Erfahrung nutzen können, um eine Perspektive auf das systemische Ganze zu gewinnen, das das Anthropozän konstituiert und antreibt. Wie könnten kleinteilige körperliche Praktiken dabei helfen, unser kollektives Bewusstsein einzustimmen, indem sie die Reichweite unserer (physischen) Sinne wie auch unserer (begriffliche) Sensibilität vergrößern? Wir schlagen eine kleine Übung vor, eine Miniatur-Anthropotechnik, die eine Alternative zu den Abstraktionen von riesenhaft Größe und Ausmaß darstellt, durch die das Anthropozän so häufig wahrgenommen wird.
20 h
Bronislaw Szerszynski und Sasha Engelmann in Zusammenarbeit mit Tomás Saraceno: (Sich) Atmosphären anpassen
Wie können wir das Element Luft und die Kräfte, die es bewegen, verstehen? Wenn wir einem Lufthauch zuhören, hören wir dann vielleicht das Echo des gewaltigen Fluids, der thermodynamischen Infrastruktur von Materie und Energie, welche die Erde umhüllt? Werden wir die auftretenden, skalenüberschreitenden Muster erkennen? Diese Demonstration denkt mit Luft, um eine Art und Weise vorzuschlagen, durch die wir unsere Körper, Konzepte und Modelle auf die Atmosphären einstimmen können – vom Persönlichen zum Globalen zum Kosmischen. Um dies zu tun, wird das Aerozän demonstriert: eine kollektive Vision einer „alternativen Technosphäre“, die, initiiert von dem Künstler Tomás Saraceno, Membranfolien und Hüllen nutzt, um unterschiedliche Möglichkeiten atmosphärischer Wahrnehmung, Mobilität und Politik zu erschaffen. In Konversation und im Experiment mit dem Aerozän wird eine Anthropotechnik der atmosphärischen Wahrnehmung vermittelt.
21 h
FORMATIONS: Vorschläge, Geschichten und Skizzen für transdisziplinäre Begegnungen
Als ein Schaufenster für die Forschungsmethoden der transversalen Arbeitsgruppe FORMATIONS präsentieren die Mitglieder eine Reihe von Formaten interdisziplinärer Begegnung und Kollaboration, die über die Dauer eines einjährigen Prozesses erdacht wurden. Diese Formate wurden mithilfe der spezifischen Methodologien und Praktiken der verschiedenen Mitglieder sowie durch die Art und Weise, wie sich diese im FORMATIONS- Experiment begegneten, entwickelt. Aus diesem Grund wird jedes der Formate als situierter Vorschlag im Kontext von Geschichten über die gemeinsame Arbeit präsentiert. Dies öffnet den methodischen Werkzeugkasten, der über das Jahr hinweg entwickelt und getestet wurde, und wirft Licht auf die Potentiale, Widrigkeiten und Verwundbarkeiten, die die transdisziplinäre Konversation und Kollaboration birgt. Diese Formate, Skizzen und Vorschläge werden vorgestellt, um ihr Potential für eine Entwicklung hin zu spekulativen „Weisheitstechniken“ zu erforschen. Sie alle versuchen, an und innerhalb der Überlappungszonen dessen zu arbeiten, was Félix Guattari „die drei Ökologien“ genannt hat – das Mentale, das Soziale und die Ökologie der Umwelt.