Kuratorisches Statement
Und wenn man nun alles anders machen würde? – Diese Frage, die Kreative mitunter ganz inspirierend finden, ist bei Jurist*innen und Politiker*innen nicht besonders beliebt. Da diese Personengruppen über die Ausgestaltung des Copyrights entscheiden, sind radikale Veränderungen nicht zu erwarten.
Dabei wären sie dringend nötig, denn das Copyright und das Urheberrecht sind in der Krise. Die jüngsten Auseinandersetzungen um die neue EU-Urheberrechtslinie gehören ebenso zu ihren Symptomen wie die letzten brisanten Gerichtsurteile in den USA (gegen die Popmusiker*innen Robin Thicke/ Pharrell Williams bzw. Katy Perry), die in den Augen einiger Expert*innen die bisherige Rechtsprechung auf den Kopf stellen. Ursprünglich geschaffen, um künstlerische Werke und ihre Urheber*innen vor nicht autorisierten Veränderungen und der finanziellen Ausbeutung durch Dritte zu schützen, und später ausgebaut, um ein Fundament zu schaffen, auf dem der Handel mit künstlerischen Werken basieren kann, zeigt sich spätestens seit der Digitalisierung, dass sie so viele Webfehler enthalten, dass sie dringend einer Generalüberholung oder einer Neuausrichtung bedürfen. Ungenauigkeiten, Mehrdeutigkeiten und willkürliche Festlegungen machen nicht nur Jurist*innen das Leben schwer, sondern behindern auch Künstler*innen zunehmend in ihrer Arbeit. Besonders deutlich wird dies in der Musik: Während konkurrierende Wirtschaftsinteressen von Tonträgerindustrie und Plattformökonomie miteinander im Clinch liegen und neue Deals ausgehandelt werden, kann nur noch eine kleine Minderheit Musikschaffender von der Rechteverwertung leben. Im Informations- und Datenkapitalismus wird aller „Content“ zum Anreiz für Massenklicks und Pauschalangebote – seine Qualität ist von sekundärer Bedeutung. Das Kerngeschäft mit der musikalischen Ware – also Vinyl, CDs oder auch MP3s – ist vorbei, über illegale Downloads regt sich längst niemand mehr auf. Die Verlagerung zum gemieteten Zugang bringt neue Lizenzmodelle und Regulierungstechnologien mit sich; automatische Erkennungssoftware, die nach geschützten Inhalten sucht, wird zunehmend darüber entscheiden, was online zu sehen und zu hören sein wird und was nicht.
Welche Musik in Zukunft entsteht und wie sie klingt, welche Geschäftsmodelle für Kreative lohnend sind und wozu Konsument*innen und Nutzer*innen Zugang haben, kurz: welche Voraussetzungen den kulturellen Raum regulieren und ermöglichen – all das steht mit der Ausgestaltung von geistigen Eigentumsrechten auf dem Spiel. Grund genug also, Kampfrhetorik ruhen zu lassen und zu fragen, welche grundsätzliche Generalüberholung Copyright und Urheberrecht nötig haben oder wie darüber hinaus Nachhaltigkeitskonzepte für selbstbestimmte Kulturproduktion aussehen und Ansprüche auf Anerkennung, Mitsprache und Kompensation auch anders formuliert werden könnten.
Ging es bei dem Projekt 100 Jahre Copyright im Herbst 2018 darum, Copyright und Urheberrecht zu verstehen, ihre Entwicklung nachzuzeichnen, ihre Problematik aufzuzeigen und herauszufinden, welche Interessen sie bedienen, stehen bei Right the Right neue Ideen im Vordergrund: Wie könnte man das bisherige System verändern und verbessern? Wo sollte man es durch andere Regelungen ersetzen und welche Vorschläge gibt es dazu? Wie können Schutz und Nutzung sinnvoll miteinander in Einklang gebracht werden – oder braucht es dafür ganz andere Ansätze als das Copyright? Wie müssten überholte Auffassungen von Autorschaft, Originalität und Eigentum realitätsgerecht erneuert werden? Wie sehen global betrachtet faire Bedingungen für Kultur tatsächlich aus?
Diesen grundsätzlichen Fragen geht Right the Right in Vorträgen, Präsentationen und Diskussionen mit Komponist*innen, Jurist*innen, Medienwissenschaftler*innen und Software-Designer*innen nach. Es geht um „Smart Contracts“ und um „Commons“, neue Copyleft-Lizenzen, globale Fair-Trade-Modelle für Kultur oder völlig andere Formen der künstlerischen Kollektivverwaltung.
Hinzu kommt Musik – der legendäre brasilianische Multiinstrumentalist Hermeto Pascoal, der vor einigen Jahren beschloss, auf Tantiemen für die Nutzung seiner Kompositionen zu verzichten, wird zur Eröffnung auftreten. Chicks On Speed und Jasmine Guffond präsentieren Auftragsarbeiten, die sich jede für sich mit Audio ID-Technologien und algorithmischer Autorschaft auseinandersetzen, die polnische Band Mitch & Mitch (Copyright-Kritiker) spielt ein gemeinsames Konzert mit dem brasilianischen Produzenten Kassin (Copyright-Befürworter) und Jan St. Werner (Mouse On Mars) erarbeitet eine Sound-Installation mit Audio-Material, das die US-Indie-Rock-Band The National ihm eigens für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat.
Detlef Diederichsen, Kurator