Ensemble modern
Autorikshaw Ride
Notizen von Ganesh Anandan zu seiner Komposition
Autorikshaws nennt man in Indien die Motorradtaxis, die die Städte mit ihrem Knattern und heiseren Hupen prägen. Mein Stück wurde inspiriert durch die Klanglandschaften meiner Nachbarschaft in Bangalore, in der sich die Gebete aus der Moschee, geschäftiger Straßenlärm, Zikaden an heißen Nachmittagen und lebhaftes Marktgeschrei mischen. Seine Faktur besteht aus verschiedenen Zeitstrukturen und dichten Stimmungen, die diese Atmosphäre hervorrufen sollen. Die Melodieinstrumente werden hier mit ihren geräuschhafteren Spieltechniken ebenfalls als Perkussionsinstrumente eingesetzt.
"Ganesh Anandan gehört zu den indischen Musikern - Dhruba Ghosh, Uday Bhawalker, Aneesh Pradhan, Shubha Mudgal, Ashok Ranade und eben Ganesh Anandan - sowie den Komponisten Sandeep Bhagwati und Francis Silkstone, mit denen das Ensemble Modern im Jahr 2002 eine fruchtbare Zusammenarbeit begann, die nun, drei Jahre später, mit neuen Werken Ganesh Anandans weitergeführt wird. Ganesh Anandan komponierte zwei neue Stücke für das Ensemble Modern („After Life“ und eine Neufassung von „Autorickshaw Ride“, das während der ersten Begegnung entstanden war), hier in relativ kleiner Besetzung, die eine weitere Annährung in der gemeinsamen Arbeit bedeuten. Die Partituren werden nicht wie üblich erstellt, das heißt, fertige Partituren dem Ensemble Modern übergeben, sondern in so genannten TRY-OUT-Sessions wurden und werden Möglichkeiten und Mittel erarbeitet, die dann zu niedergeschriebenen Kompositionen führen. Dabei handelt es sich um eine Arbeitsform, bei der es einen direkten Austausch zwischen Musikern und Komponist gibt und Material sowohl in schriftlicher Form als auch über akustischem Weg gelernt wird. Das Weitergeben von Musik und die Bildung eines Gedächtnisses sind ja in der Indischen Musik anders entwickelt als in der klassischen europäischen Tradition. Die feine Verknüpfung von strenger Komposition und Improvisationsanteilen, die wiederum genauesten Parametern unterworfen sind, ist für uns eine Herausforderung, eine neue, andere spielerische Herangehensweise.“(Rainer Römer, Schlagzeuger des Ensemble Modern)
Ist das Raag?
Aus den Notizen von Francis Silkstone zu seiner Komposition
Seit 1961 studiere und spiele ich die klassische europäische Musik, und seit 1974 die nordindische. Als musikalisch gesehen bilingualer Komponist verbinde ich mein indisches Bedürfnis nach Raag Melodien mit meinem europäischen Bedürfnis nach zwei oder mehr gleichzeitigen Melodien (Polyphonie). Was also ist Raag? Worte können nur einige Hinweise geben in Richtung einer Antwort, die in der musikalischen Erfahrung zu finden ist. Ein Raag ist spezifischer als eine Tonleiter, aber offener als eine gewöhnliche Melodie. Es ist ein melodischer Archetypus, der ein Tor bildet zu einer unendlichen Quelle kohärenter, kraftvoller Melodie. In den Wortes eines meiner Lehrer, Ustad R.F. Dagar, ist jeder Raag ‚eine musikalische Persönlichkeit’, die man an der kleinsten Phrase erkennen kann, wie man die Geliebte an einem kurzen Blick auf ihre Hand erkennt.Alle klassischen indischen Melodien enthalten einen bestimmten Raag. Also immer eine Melodie zu einer Zeit, die vor dem harmonischen Hintergrund eines gleichmäßigen Summens zu hören ist. Jede Tonlage der Melodie ist durch ihre Beziehung zu dem allgegenwärtigen Summen bestimmt. Wenn man aber zwei oder mehrere gleichzeitig gespielte Raag-Melodien kombiniert, beginnt man die Sprache des Raag zu verändern. Denn jede Tonlage - ob man nun das Summen beibehält oder nicht - ist jetzt in Beziehung zur Tonlage einer anderen Melodie zu hören.
Der englische Komponist Francis Silkstone (*1956) hat einen einzigartigen Ansatz der Interaktion zwischen der zeitgenössischen Musik Indiens und des Westens entwickelt. Er hat an der York University und der University of London studiert (Promotion in Ethnomusikologie), hat bei indischen Meistern das Sitar-Spiel und den Dhrupad-Gesang gelernt sowie in Bangkok klassische Thai-Geige. Silkstone lehrt Sitar an der Art Asia in Southhampton und ist Senior Lecturer für Performing Arts am University College, Winchester.