Konzert
You Have No Choice
Kammermusik mit Werken chinesischer Avantgarde-Komponisten
Auftragsproduktion des Hauses der Kulturen der Welt in Kooperation mit dem Ensemble Modern
Konzept: Liu Sola / Dirigent: Franck Ollu
Unter mehreren tausend Bewerbern wurden 1978 diese Komponisten zum Studium ausgewählt, als das Beijinger Konservatorium erstmals nach der Kulturrevolution wieder Aufnahmeprüfungen durchführte: Acht Werke der inzwischen international renommierten Avantgarde-Komponisten spielt das Ensemble Modern – darunter zwei Auftragsarbeiten für das Haus der Kulturen der Welt. In ihrer Novelle „You Have No Choice“ hat die Sängerin, Schriftstellerin und Komponistin Liu Sola die außergewöhnliche Situation der jungen Studenten geschildert, die mit ihr zusammen ans Konservatorium kamen. „Du hast keine Wahl“, lautet der zentrale Satz, „You’re a composer now.“ Diese Klasse war die erste nach einem Jahrzehnt der Kulturrevolution - die erste, die von deren Zwängen befreit war. Dafür musste aber nun jeder die Verantwortung für sein Talent selbst übernehmen. Die Propaganda-Ästhetik der Revolution war passee, ein neuer Umgang mit der Tradition, aber auch die konsequente Suche nach neuen Formen, nach einer eigenen Sprache begann. „Gab es einen Klang,“ so fragte einer der Komponisten, „der einzig und allein ihm gehörte, oder gab es ihn nicht? Wonach suchte er? Wo war er, der Gott der Musik?“
Das Konzert zeigt, zu welchen außergewöhnlichen Resultaten die Suche nach dem individuellen künstlerischen Weg geführt hat: auf dem Hintergrund chinesischer Geschichte und Tradition, nach Jahren „revolutionärer Umerziehung“ und des Studiums regionaler Musikstile auf dem Lande, abrupt sich den musikalischen Formen und Strukturen westlicher Kompositionstechnik öffnend. Eine Generation chinesischer Komponisten, die von Musikjournalisten als „die neue Welle“ apostrophiert werden: Werke von Tan Dun, Guo Wenjing, Ye Xiaogang, Qu Xiaosong, Chen Yi, Zhou Long, Chen Qigang und Zhang Lida.
Chen Qigang: Voyage d'un rêve (1987)
für Flöte, Harfe, Schlagzeug, Geige, Bratsche und Violoncello (18 Min.)
Chen Qigang war nach Auszeichnungen in Beijing Schüler von Olivier Messiaen in Paris, der „die Intelligenz“ wie „die Poesie“ seiner Werke hervorhob. Seine Kompositionen umfassen Choreografien wie für die New Yorker Michael Mao Kompagnie, Orchesterstücke wie „Reflet d'un temps disparu“, das von Yo Yo Ma und dem Orchestre National de France uraufgeführt wurde oder das Ballet „Raise the Red Lantern“ von Zhang Yimou nach dessen gleichnamigen Film, das das Chinesische Nationalballett Beijing präsentierte. Chen Qigang schreibt über „Voyage d'un rêve“: „Die Komposition war für mich ein Versuch, der Vorstellung einer ´musikalischen Moderne` zu entkommen, die mehr oder minder erstarrt war.“
Chen Yi: Qi (1997)
für Flöte, Violoncello, Piano und Schlagzeug (12 Min.)
Chen Yi ist eine der international bekanntesten Komponistinnen zeitgenössischer Musik. Sie promovierte nach dem Beijing Konservatorium an der Columbia University und lebt nun auch in den USA, war Professorin und „composer in residence“ in San Francisco und Baltimore. Für eine Vielzahl amerikanischer und internationaler Stiftungen, Institutionen und Orchester hat Chen Yi Auftragswerke geschaffen. In den letzten Jahren wurden ihre Werke in Hongkong und der Carnegie Hall, in Singapur und in der Royal Albert Hall aufgeführt, ihren Orchester- und Chorwerken wurde aber durch das China Symphonie Orchester auch ein Abend in der Beijinger Konzerthalle gewidmet. Die Zeitschrift „Chamber Music“ über die Komposition „Qi“ „...ein überwältigendes Werk, Klangbeschreibung der Kräfte des Lebens ...”
Guo Wenjing: Parade op. 40 (2003)
Trio für 6 Pekingoperngongs (ca. 16 Min.)
Guo Wenjing, Professor am Konservatorium Beijing, wurde international durch seine Opernkompositionen bekannt - besonders durch das auf dem „Tagebuch eines Verrückten“ von Lu Xun basierende Werk „Wolf Cub Village“, das „Le Monde“ mit Alban Bergs „Wozzeck“ und Schostakowitschs „Die Nase“ verglich. Guo Wenjing, der als kleines Kind autodidaktisch das Violinspiel erlernte, hat einige seiner musikalischen Wurzeln in der Volksmusik Sechuans. Seine großen Orchesterwerke, die chinesische Perkussion und Bambusflöte, tibetische Klänge ebenso wie Piano und Harfe einbeziehen, gelten als: „subtil und ungewöhnlich“ (F.A.Z.) oder „intensiv und lebendig“ (The Guardian, London) charakterisiert.
Tan Dun: Concerto for Six (1997)
für Klarinette, Schlagzeug, Klavier, E-Gitarre, Violoncello und Kontrabass (12 Min.)
Tan Dun wird von den weltweit renommierten Orchestern gespielt, so von den New York Philharmonics und dem Boston Symphonic Orchestra, erhielt in den letzten Jahren Kompositionsaufträge von der Metropolitan Opera NY und von den Berliner Philharmonikern. Als Dirigent hat der in New York lebende Tan Dun mit den großen amerikanischen, aber auch mit Orchestern wie dem Concertgebouw Orchestra und Musikern wie Yo-Yo Ma gearbeitet. In seinen Orchesterwerken vereint er Kindheitserinnerungen an schamanistische Rituale mit westlicher symphonischer Musik, bezieht Geräusche der Naturwelt ein. Er komponiert sowohl Opern wie seine bei den Wiener Festwochen uraufgeführte Version des „Päonienpavillon“ als auch weltbekannte Filmmusiken: „Crouching Tiger, Hidden Dragon“. Über Tan Duns zwölfminütiges „Concerto for Six“ schreibt die Kritikerin Mary Lou Humphrey: “Ein spielerisches Werk, wie ein Tanz: Es erinnert an die Fröhlichkeit eines Dorffestes.“
Qu Xiao-song: Ausschnitte aus 'Cursive' (2000-2001)
für Violoncello und Schlagzeugtrio (ca. 12 Min.)
Qu Xiaosong ist nach 10jährigem Aufenthalt in New York nach China zurückgekehrt und lehrt dort an der Shanghaier Musikhochschule. Er begann seine musikalische Karriere als Geiger in einem Pekingopern-Ensemble, studierte nach Beijing auch in den USA, setzte sich dort intensiv mit John Cage auseinander. Er hat Auftragswerke unter anderem für Orchester und Festivals in Brüssel, München, Paris, London, Cincinatti komponiert. Seine Arbeit umfaßt die Musik für eine Choreographie des Cloud Gate Theatre Taiwan und Perkussion-Konzerte für Hongkong und Taipei, Opern wie „Der Tod des Ödipus“ ebenso wie Gitarren-Soli. Der Pianist Roger Woodward sagt über Qu Xiaosong: „Seine Musik hat eine kristallene Klarheit und die Zärtlichkeit der magischen Kammermusik, wie sie von Feldman, Takemitsu, Messiaen, Debussy, Chopin, Schubert und Mozart auf uns kommt."
Ye Xiaogang: Nine Horses (1993)
für Flöte, Oboe, Klarinette, 2 Schlagzeuger, Klavier, Geige, Bratsche, Violoncello und Kontrabass (10 Min.)
Ye Xiaogang pendelt zwischen Beijing, wo er Dozent und „composer in residence“ am Konservatorium ist, und Exton/Pennsylvania. Er schreibt symphonische Werke und Kammermusik sowie Filmmusik, kuratiert ein eigenes Festival für zeitgenössische Musik in der chinesischen Hauptstadt. Dort hatte auch Anfang 2005 sein „Lied von der Erde“ für Sopran und Orchester Uraufführung, in dem Ye die chinesischen Originaltexte verwendet, auf deren deutsche Version Gustav Mahler in seiner gleichnamigen Symphonie zurückgriff. Sein neuestes Werk, die "Ling Nan Suite", die von Kantonesischen Volksliedern inspiriert ist, wurde im letzten Herbst in der Carnegie Hall in New York uraufgeführt und befindet sich nun auf internationaler Tournee. Ye Xiaogang, schreibt die „Neue Zeitschrift für Musik“ über „Nine Horses“, ist „der große Vorkämpfer einer Befreiung der Musik von kunstfremden Doktrinen.“
Zhang Lida: Lines and Passions (UA)
für Flöte, Oboe, Klarinette, Trompete, Posaune, Klavier, Schlagzeug, 2 Geigen, Bratsche, Violoncello und Kontrabass (ca. 8 Min.), Auftragswerk des HKW für das Ensemble Modern
Zhang Lida absolvierte ein Studium der Violine in der Mongolei vor ihrer Aufnahme am Beijinger Konservatorium, nach Abschluss des Studiums musikethnologische Recherchen unter anderem in Tibet - die Interessen der Komponistin sind weit gespannt. Inzwischen ist sie Professorin am Beijinger Konservatorium, komponiert vor allem große symphonische Werke für das National Symphonic Orchestra of China – und Filmmusiken. So für „Shadow Magic“, der das Auseinandertreffen westlicher und chinesischer Musik und Kultur zu beginn des vorigen Jahrhunderts am Beispiel Film und Pekingoper plastisch werden lässt.
Zhou Long: Bell Drum Tower (UA)
für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Klavier, Schlagzeug, Geige, Bratsche, Violoncello und Kontrabass, Auftragswerk des HKW für das Ensemble Modern
Zhou Long gewann nach dem Konservatorium hohe Auszeichnungen wie den Ersten Preis im Nationalen Wettbewerb für Komposition 1985 und war „composer in residence“ beim Chinesischen Rundfunk-Symphonieorchester. Nach einem Fellowship an der Columbia Universität blieb er in den USA , wo er nun seit 20 Jahren lebt. Inzwischen sind seine Werke von einer Vielzahl der international prominenten Orchestern und Institutionen aufgeführt worden. Nach wie vor schöpft Zhou Long aus der Tradition und experimentiert mit ihren Instrumenten, Aufführungstechniken, Klängen. Er vergleicht die Integration der westlichen Musik in seine essentiell chinesischen Kompositionen mit der Aufnahme buddhistischer Prinzipien in die chinesische Kultur während der Tang-Dynastie. „Die gegenseitige Befruchtung von Klangfarbe, Material und Technik und – auf einer tieferen Ebene – kulturelles Erbe bewirken herausfordende Arbeiten.“