Diskussion
Wende in der arabischen Welt?
Arabische und europäische Blicke auf die aktuelle Situation in Nordafrika
Simultanübersetzung in Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch
Eine Veranstaltung vom Haus der Kulturen der Welt und der Allianz Kulturstiftung
Die erfolgreiche „Jasminrevolution“ in Tunesien, die Massendemonstrationen und Besetzung des Tahrir-Platzes in Ägypten, die Manifestationen in Jordanien, im Jemen und in Bahrain, in Algerien und Syrien, die anhaltenden gewaltvollen Auseinandersetzungen in Libyen – die Tragweite dieser Protestwelle ist im Moment nicht absehbar. Mobilisierung per Facebook, neue Jugendbewegungen jenseits alter Kräfte und jenseits des politischen Islam, Ambivalenzen in der Armee, Bündnisse zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppierungen: Viele der professionellen westlichen Beobachter wurden von den Ereignissen überrascht. Die Ziele der sehr vielfältigen Zusammenschlüsse in den arabischen Ländern erinnern uns an die Revolution von 1989: Abschaffung der korrupten Machteliten, Mitspracherechte und eine realistische Zukunftsperspektive für das eigene Leben im Land. Aber: Ist die Verortung des Aufbruchs als „arabischer Frühling“ nicht nur ein Verharren im westlichen Geschichtsdenken? Wird sie der komplexen Realität vor Ort gerecht? Die Reaktionen der europäischen Politiker stoßen auf Unverständnis bei den Regimekritikern und Oppositionellen, aber auch bei den in Europa lebenden Menschen aus Tunesien und Ägypten. Journalisten, Künstler und Wissenschaftler aus Tunesien, Ägypten, Algerien und Europa diskutieren ihre Sicht der Entwicklungen und Perspektiven.
Es diskutieren Dalila Alloula, Chalid Al-Chamissi, Huda Lutfi, Aida Eltorie, Volker Perthes, Hisham Matar, Boualem Sansal und Noureddine Ben Redjeb. Moderation: Amira El Ahl
Dalila Alloula ist Fachärztin für Gynäkologie und praktiziert in Oran, Algerien. Sie ist Vorsitzende der nationalen NGO "Femmes Algériennes Médecins" (F.A.M) und Mitglied der algerischen Vereinigung zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen. Sie engagiert sich in Vor-Ort-Aktionen für das Recht auf Gesundheit. Sie leitete u.a. das Symposion "Albert Camus, l’Algérie, la Méditerranée".
Chalid al-Chamissi, geboren 1962 in Kairo, studierte Politikwissenschaften an der Universität Kairo und an der Sorbonne in Paris. Al-Khamissi arbeitet als Journalist für zahlreiche ägyptische Zeitungen, wo er als kritischer Beobachter gesellschaftlicher Verhältnisse gilt. Darüber hinaus war er als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor für Spiel- und Dokumentarfilme tätig. Zu Jahresbeginn 2011 erschien sein Debütroman "Taksi … hawadith al-mashawir" (2007), der über Ägypten hinaus zum Bestseller wurde, unter dem Titel "Im Taxi. Unterwegs in Kairo" auf Deutsch. Chaled al-Chamissi lebt und arbeitet in Kairo.
Noureddine Ben Redjeb, Radioaktivist seit den Anfängen von Radio Multiculti im Haus der Kulturen der Welt, ist Moderator der Wunschmusiksendung "A la Carte" gewesen, die ein beliebter Klassiker war. In den 1990er Jahren organisierte er legendäre Konzerte und Partys im Café Global und hatte kürzlich bei Herbstradio eine regelmäßige Sendung. Nun öffnet Nouri jeden Freitag auf reboot.fm von 20-21 Uhr ein Radiofenster zur Weltkultur, stellt internationale Gäste vor und weist auf aktuelle Veranstaltungen im HKW hin, wo er seit Jahren im Bereich Musik/Tanz/Theater arbeitet.
Amira El Ahl, geboren in Kassel als Tochter eines Ägypters und einer Deutschen, ist von Kindesbeinen an mit der arabischen Kultur vertraut. Nach ihrem Studium an der American University of Cairo und der School of Oriental and African Studies, London, berichtete sie zwei Jahre lang als Auslandskorrespondentin für den SPIEGEL aus Kairo. Heute arbeitet sie als Freie Korrespondentin und Expertin im Nahen Osten, unter anderem für die Deutsche Welle, GEO, DER SPIEGEL, Goethe-Institut und die GIZ. Ihre Reisen führten sie unter anderem in den Libanon, nach Algerien, Jordanien, Syrien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sowie in die USA, nach Kanada, Südafrika und in fast alle Länder West-Europas.
Aida Eltorie, in Kairo geboren, ist ein unabhängige Produzentin und Begründerin der Plattform projects.org, ein internationales Netzwerk, das unkonventionelle, interdisziplinäre Projekte in Nahost und der Mittelmeerregion realisiert und miteinander verbindet. Neben ihrer Tätigkeit als Editor-in-Chief für das Contemporary Practices Journal 4, 5 und 6 arbeitete sie unter anderem mit The Townhouse Gallery of Contemporary Art (Cairo), The Brooklyn Museum, The International Museum of Women und Christie's Auction House (New York) und produzierte eine Reihe von internationalen Projekten mit Künstlern und Kulturschaffenden aus dem Nahen Osten und Europa. Aida Eltorie beendet zurzeit ihren Master-Abschluss an der American University in Kairo in den Fächern Islamische Kunst und Architektur.
Huda Lutfi wurde 1948 in Kairo geboren, wo sie als Künstlerin und Kulturhistorikerin lebt und arbeitet. Sie promovierte 1983 in islamischer Kultur und Geschichte an der McGill University, Montreal, und lehrt seitdem an der American University in Kairo. Als Künstlerin begann Lutfi ihre Arbeit Mitte der 1990er Jahre, für die sie 1997 mit dem zweiten Preis der „Biennial for Women Artists of the Mediterranean“ ausgezeichnet wurde. In ihren Arbeiten geht sie wie eine urbane Archäologin vor, indem sie Fundstücke und Bilder als Fragmente, geladen mit kulturellen und lokalen Erfahrungen und Traditionen, mit einfließen lässt. Huda Lutfis Ausstellungen sind in Kairo, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und den USA zu sehen.
Hisham Matar wurde 1970 als Sohn libyscher Eltern in New York City geboren. Er wuchs in Tripolis und Kairo auf. 1990 wurde Matars Vater in Libyen verhaftet; sein Schicksal ist bis heute ungeklärt. Seit 1986 lebt Hisham Matar vorwiegend in London, wo er als Architekt, Steinmetz, Schauspieler, Dozent und Buchbinder gearbeitet hat. Sein Debüt „Im Land der Männer”, das in 22 Sprachen übersetzt ist, wurde für die Shortlist des Man Booker Prize 2006 und des Guardian First Book Award nominiert. 2007 wurde Hisham Matar u.a. mit dem mit dem Royal Society of Literature Ondaatje Prize, dem Commonwealth Writers' Prize und dem Arab American Book Award ausgezeichnet. Im April erscheint sein neuer Roman „Geschichte eines Verschwindens“.
Volker Perthes, geboren 1958 in Homberg/Niederrhein, leitete ab 1992 die Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Seit 2005 ist er als Direktor der Stiftung in Berlin tätig. Bekannt wurde er durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Nahen und Mittleren Osten. Der promovierte und habilitierte Politologe lehrte in Duisburg, Beirut, München und Berlin und ist Mitglied einer Reihe von wissenschaftlichen Beiräten. Im Herbst 2008 erschien sein letztes Buch „Iran – eine politische Herausforderung“.
Boualem Sansal wurde 1949 im algerischen Téniet el Had geboren. Im Alter von fünfzig Jahren debütierte er als Romancier mit »Le serment des barbares« (1999; dt. »Der Schwur der Barbaren«, 1999). Der Roman wurde in Frankreich veröffentlicht und von der dortigen Presse gefeiert. Seitdem gilt Sansal wegen seines spielerischen Umgangs mit dem Französischen als bewunderter Spracherneuerer. 2003 wurde er wegen seiner kritischen Haltung aus dem Staatsdienst entlassen. Sein Essay »Poste restante: Alger. Lettre de colère et d'espoir à mes compatriotes« (2006; dt. »Postlagernd: Algier – Zorniger und hoffnungsvoller Brief an meine Landsleute«, 2008) wurde in Algerien verboten. Zuletzt veröffentlichte Sansal den Roman »Le village de l'allemand« (2008; Ü: Das Dorf des Deutschen), der die Beteiligung ehemaliger, als Ausbilder eingesetzter Nazis am algerischen Befreiungskampf thematisiert. Zu den zahlreichen Auszeichnungen des Autors gehören der Prix du Premier Roman, der Prix Tropiques und der Prix Michel Dard. 2008 wurde er mit dem Grand Prix de la francophonie und dem Prix Nessim Habif ausgezeichnet. Boualem Sansal erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2011.
Die Diskussion ist Teil der Veranstaltungsreihe "Mittelmeer vor Ort" des deutschen Netzwerks der Anna-Lindh-Stiftung.
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