Konferenz: Panels
A New School
Die Konferenz A New School geht der Frage nach, ob Ansätze einer radikalen Kunstpädagogik des 20. Jahrhunderts wieder an Relevanz gewinnen und gegenwärtige gesellschaftspolitische Bedingungen eine radikale Reform der Kunst- und Gestaltungsausbildung erforderlich machen. Am ersten Tag untersuchen Panels pädagogische Konzepte sowie neue Lernorte und Schulen in Brasilien, China, Deutschland, Großbritannien, Indien, Nigeria, Ruanda und in den USA und fragen nach ihrer Bedeutung für die zeitgenössische Bildung. Am zweiten Tag nehmen drei Workshops die Ausbildung in zeitgenössischer Kunst und Design in den Blick, und stellen haptische, manuelle und praktische Prozesse in den Vordergrund, die - obwohl ebenso wichtig - oft von einem kognitiven Ansatz überschattet werden. Die Workshops untersuchen, welche Wege kollektiven Lernens und der Selbstorganisation im Zeitalter globaler Vernetzung bedeutsam sind und welche neuen Wissensformen und Handlungsweisen es braucht, um gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen.
Tag 1 | Tag 2
Begrüßung
Bernd Scherer
Einführung
11h
Marion von Osten und Grant Watson, Kurator*innen bauhaus imaginista
Panel 1: Die Gründung neuer Kunsthochschulen und ihre sozialen Bedingungen
11.30–13.30h
Die Gründung des Bauhauses 1919 wird zum Anlass genommen, internationale Kunst- und Gestaltungsschulen der Moderne daraufhin zu befragen, welche gesellschaftlichen Bedingungen neue Institutionen und Lernformen notwendig machten. Gingen die pädagogischen und gestalterischen Ansätze aus zivilgesellschaftlichen Initiativen hervor oder waren sie staatliche Programme? Die Beiträge internationaler Kunstwissenschaftler*innen stellen unterschiedliche Gestaltungsschulen, neue Lehrmodelle und deren Zielsetzung vor, wie sie Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts in Indien, der DDR und den USA entwickelt wurden.
„Formung ist Bewegung ist Tat. Formung ist Leben.“ (Paul Klee) – Auf dem Weg zu einer sinnlich erfahrbaren Pädagogik
Regina Bittner
Im erkenntnistheoretischen Kontext einer fundamentalen Skepsis gegenüber dem herrschenden Wissenssystem strebte die Bauhausschule ein “Verlernen” an: Sie verwarf das konventionelle Lernen und propagierte stattdessen vorsprachliche, intuitive Zugänge. Diese Ansätze führten auch zur Übernahme nicht-akademischer Modi der Wahrnehmung und sie brachten ein lebhaftes Interesse an vormodernen Wissenssystemen mit sich. Gleichzeitig sind die im Lehrplan des Bauhauses zum Einsatz kommenden Methoden und Lerntechniken in ein weitgespanntes internationales Netzwerk progressiver Bildungsreformen seit der Jahrhundertwende eingebettet und verschränken sich mit der Psychotechnik, die zur Formung eines “Neuen Menschen” eingesetzt wurde. Anhand von drei Szenen aus der experimentellen Lernumgebung des Bauhauses unternimmt der Vortrag eine kritische Reflexion der „Neuheit“ des pädagogischen Vorhabens der Schule.
A Virtual Cosmopolis: Das Bauhaus und Kala Bhavan
Partha Mitter
Das Bauhaus ist berühmt für seinen Beitrag zur modernen Architektur und zum Design. Weniger bekannt, aber ebenso bedeutsam ist seine Vorreiterrolle bei der Etablierung eines transkulturellen Netzwerks, das bereits in den 1920er Jahren den Grundstein für einen globalen Dialog über Kunst und Design legte. Ein Beispiel dafür ist das geistige Zusammentreffen von Gropius’ frühen pädagogischen Prinzipien und Rabindranath Tagores Unterrichtsidealen an der Kunstschule Kala Bhavan. Mitters Vortrag zeichnet das komplexe transkulturelle Netzwerk des Bauhauses nach. Die auf die koloniale Expansion im 19. Jahrhundert folgende Kommunikationsrevolution führte mittels des sich der Druckerpresse bedienenden „print capitalism“ zu einer weltweiten Ausbreitung hegemonialer Sprachen. Diese „virtuelle Kosmopolis“, eine imaginierte Welt, rückte Zentrum und Peripherie näher aneinander und schuf so die Bedingungen für einen globalen Dialog, der nicht von kolonialen Machtbeziehungen abhing. Viele der Hauptakteur*innen sind sich niemals persönlich begegnet, tauschten aber über gedruckte Texte und Bilder ihre Ideen aus und schufen auf diese Weise die wesentlichen Grundlagen der Modernität.
Moving Away From Bauhaus and Ulm: Die Entwicklung des Grundlagenkurses am National Institute of Design, Ahmedabad
Suchitra Balasubrahmanyan
Das 1961 gegründete National Institute of Design (NID) entwickelte sich zur ersten Einrichtung für das Designstudium in Indien. Es entstand an der Schnittstelle von postkolonialen Bestrebungen, eine neue Nation und eine*n „neue*n Bürger*in“ zu entwerfen, und der Kulturdiplomatie des Kalten Krieges. Bilder von der studentischen Arbeit in den ersten Semestern im „Foundation Program“ genannten Grundlagenkurs des NID erwecken den Eindruck, dass die frühen indischen Design-Dozent*innen lediglich die Inhalte des Bauhaus-Vorkurses und der Grundlehre der Hochschule für Gestaltung Ulm übernommen hätten. Der Vortrag von Suchitra Balasubrahmanyan zeigt auf, welche Überlegungen zum Foundation Program führten, untersucht, in welcher Weise der Kurs auf die am Bauhaus und in Ulm entwickelten Pädagogiken zurückgriff, und verfolgt die Abweichungen, die vorgenommen wurden, um ihn an die spezifischen Entwicklungen der sozio-kulturellen Umgebung in Indien anzupassen. Auf diese Weise wurden der Campus, die Stadt und das Dorf zu Orten und Subjekten einer progressiven und unabhängigen Designausbildung, und zwar im Zusammenspiel mit einem einzigartigen, bis heute verfolgten pädagogischen Ansatz, der moderne Gestaltung mit traditionellem Handwerk verbindet.
Muriel Cooper am MIT und das Fortleben des Bauhauses
Robert Wiesenberger
Die Designerin, Pädagogin und Forscherin Muriel Cooper (1925–94) arbeitete vier Jahrzehnte lang am Massachusetts Institute of Technology. Als erste Art-Direktorin der MIT Press verlieh sie wegweisenden Büchern wie The Bauhaus (1969) und Learning from Las Vegas (1972) Gestalt. Als Mitbegründerin des Visible Language Workshop schuf sie eine Arbeitsumgebung für experimentelle Techniken in Druckgrafik, Fotografie und Video. Und als erste weibliche Lehrstuhlinhaberin am MIT Media Lab spielte sie eine bedeutende Rolle bei der Ausgestaltung der Interaktionen zwischen Menschen und ihren Bildschirmen. Wiesenbergers Vortrag beleuchtet die Bedeutung und das überraschende Fortwirken des Bauhauses und seiner Ideen im Verlauf von Coopers langer und abwechslungsreicher Karriere.
Die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee als Bauhausnachfolgerin in der DDR
Simone Hain
Unter den auch für den Westen vorbildlichen Kunsthochschulen der DDR spielt die von Berlin-Weißensee eine besondere Rolle. Programmatisch von Mart Stam geprägt, hat die Schule über dessen Entlassung hinaus eine eigensinnige Kohärenz und kollektive Integrität behaupten können. In Bezug auf Selman Selmanagić, den letzten Leiter der Kommunistischen Zelle am Bauhaus, wird der durchlaufende systemkritische Grundgedanke der Bauhausprogrammatik reflektiert: Emanzipation.
Moderation: Tom Holert
Panel 2: Die Gründung neuer Lernorte
14.30–16.30h
Das Panel diskutiert die Gestaltung neuer Lernorte, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in China, Brasilien und Nigeria im Kontext von Unabhängigkeitsbewegungen und als Gegenmodelle zur westlichen Moderne entstanden sind. Es stellt mit Beiträgen von Architekt*innen und Theoretiker*innen Entwürfe von Universitäten in Shanghai und Taiwan, einen Campus und ein neues Kulturzentrum im unabhängigen Nigeria der 1960er Jahre, sowie eine Museumsschule aus Brasilien vor. Spiegelt die Gestaltung und räumliche Ordnung dieser Lernorte auch neuen Form des Lernens und Verlernens?
Über Missverständnisse und Übersetzungen: Vorlagen aus der Vergangenheit als Inspiration für die Zukunft?
Eduard Kögel
Durch imperiale Strukturen und koloniale Abhängigkeit konnte sich die christlich-abendländische Auffassung von Zeit und Raum in viele Kulturen rund um den Globus einschreiben. So stand in China einerseits die egozentrische Raumauffassung der westlichen Welt einer geozentrischen Einbindung in die Umwelt gegenüber. Anderseits glaubten westliche Beobachter*innen, in China ein Copy-and-Paste-Verhalten zu beobachten, dem sie jede Kreativität absprachen. Was machten die Architekten Walter Gropius und IM Pei in China oder Hans Scharoun und Chen Kuen Lee in Deutschland aus diesem Kontext?
Das Vermächtnis von Arieh Sharons modernistischer Architektur an der Obafemi Awolowo University in Ile-Ife, Nigeria
Bayo Amole
Arieh Sharons postkoloniale modernistische Architektur auf dem Campus der Obafemi Awolowo University in Ile-Ife ist in vielerlei Hinsicht bedeutsam. Der Vortrag verfolgt diese unterschiedlichen Dimensionen in der Architektur des zentralen Bereichs des Campus, um zu zeigen, welchen Einfluss sie auf den übrigen Campus hatte. Erstens markiert sie eine Abkehr von der kolonialen modernistischen Architektur, die beispielhaft auf dem ersten Universitätscampus in Nigeria – der University of Ibadan, die ca. 80 Kilometer von Ile-Ife entfernt liegt – realisiert worden ist. Zweitens erfährt die Moderne hier eine Neuinterpretation, insbesondere in Bezug auf die modernistische architektonische „Schachtel“ und ihre klimatischen Bedingungen und im Hinblick auf die historischen Wurzeln des Universitätscampus als eigener Architekturgattung. Drittens verleiht Sharon Aspekten der Yoruba-Kultur, ihrer Identität und Kunst, einen physischen Ausdruck. Amoles Vortrag veranschaulicht, welchen Einfluss diese Besonderheiten auf die Entwurfs- und Baupraxis anderer Architekt*innen ausgeübt haben.
A Postcolonial Learning Space: The New Culture Studios in Ibadan, Nigeria
Demas Nwoko
Lina Bo Bardis Museu de Arte Popular und die Schule für Industriedesign und Kunsthandwerk in Bahia, Brasilien
Ana Carolina Bierrenbach
In den späten 1950er Jahren ließ sich die Architektin Lina Bo Bardi im brasilianischen Salvador da Bahia nieder, wo sie die Leitung des Museu de Arte Moderna da Bahia übernahm und das Museu de Arte Popular gründete. Ihre dortige Arbeit ermöglichte es ihr, das volkstümliche Kunsthandwerk aus dem Nordosten Brasiliens zu dokumentieren. Es war ihr Ziel, dieses Wissen zum Aufbau einer brasilianischen Hochschule für Industriedesign und Kunsthandwerk zu nützen, die in der Lage wäre, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu bedienen. Der Militärputsch von 1964 bereitete ihren Unternehmungen ein abruptes Ende.
Moderation: Kathrin Peters
Panel 3: Beyond The Curricula
17–19h
Inwieweit ist ein Curriculum eine Hilfe oder ein Hindernis für gestalterisches und künstlerisches Lernen? Im letzten Panel wird die Spannung zwischen Lehrprogrammen und neuen Wissens- und Praxisfeldern außerhalb der Institution thematisiert. Welche Bedeutung hat die gestalterische Praxis als Lernprozess und lokales, nicht-institutionalisiertes Wissen für eine zeitgenössische Gestaltungsausbildung? Welche sozialen und politischen Fragen bleiben bis heute von Kunstinstitutionen unbeantwortet und wie könnte eine zeitgemäße kulturelle Bildung aussehen, die auch andere Formen des Wissens und Lernens anerkennt?
Collapsing New People: Self-Fashioning im Leeds Art Experiment
Gavin Butt
In den 1970er Jahren galt Leeds als die Heimat der „einflussreichsten Kunsthochschule in Europa seit dem Bauhaus“ und war Schauplatz einer florierenden Musikszene des Punk und Postpunk. Gavin Butt beleuchtet ein überschaubares Art-School-Milieu, das mit avantgardistischen Experimenten in Fotografie, Performance-Kunst, Film und Klangkunst zur Herausbildung nonkonformistischer Körper-Darbietungen beitrug und die Formierung abweichender sexueller und geschlechtlicher Identitäten prägte. Der Schwerpunkt liegt auf dem bislang größtenteils unbekannten Werk von Studenten der bildenden Kunst an der Universität Leeds Polytechnic, darunter neben anderen Marc Almond und Dave Ball von Soft Cell und Frank Tovey (Fad Gadget). Im Kontext eines kulturellen Klimas der sexuellen Gewalt und Homophobie zeigt Butt auf, wie in der Nach-Coldstream-Ära die britische Art School sich für kurze Zeit in ein Laboratorium für proto-queere Selbststilisierungen verwandelte – zumindest bis Budgetkürzungen und zunehmende Bürokratisierung sich ab Mitte der Achtziger Jahre negativ auf den Betrieb auszuwirken begannen. Der Vortrag stützt sich auf eigens geführte Interviews und bislang ungesehenes Archivmaterial.
Post-Architectural Circuit Diagrams: Die nicht-institutionelle Designausbildung der 1960er Jahre
Mark Wigley
Der Architekt Konrad Wachsmann entwickelte ein extremes Modell der Lehre, das danach trachtete, die Institutionen, in denen es angesiedelt war, zu unterwandern und auf diese Weise das alle sozio-politischen Transaktionen strukturierende und einschränkende repressive Denken der Architektur zu untergraben. Sein Experiment begann 1950 am New Bauhaus und versuchte sich an einer Überwindung der Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Bauhauses, sich ganz auf die Welt der Elektrizität einzulassen; ein Erbe, das das New Bauhaus unbewusst übernommen hatte. Das Design dieser immer komplizierter und ausladender werdenden Gegen-Technik war letzten Endes wichtiger als alle Entwürfe, die sie hervorbrachte. Mark Wigley erkundet in seinem Vortrag die pädagogischen Experimente Wachsmanns von den frühen 1950er bis in die späten 1970er Jahren.
Das African Design Centre in Ruanda
Christian Benimana
Afrika befindet sich auf einem beispiellosen urbanen Wachstumspfad. Da der Kontinent ein geschätztes Bevölkerungswachstum von einer Milliarde Menschen in den kommenden zwanzig Jahren bewältigen muss, brauchen seine Städte neue Infrastrukturen. Afrika benötigt gewaltige Investitionen für die Ausbildung und den Einsatz seiner kreativsten Köpfe, um neue Lösungen für diese infrastrukturellen Herausforderungen zu entwickeln. Vor fast einhundert Jahren trat das Bauhaus eine moderne Bewegung los, die Architektur und Design tiefgreifend veränderte. Nach der Schließung der Institution 1933 verstreute sich die Kerngruppe der Bauhausbewegung über die ganze Welt, lancierte Firmen und Schulen, in denen die nächste Architekt*innengeneration ausgebildet wurde, und übte mit seiner Ethik einen bis heute prägenden Einfluss aus. Mit dem African Design Centre möchte die MASS Design Group ein neues afrikanisches Bauhaus gründen, interdisziplinär und feldforschungsorientiert: ein in Kigali, Ruanda angesiedeltes Stipendienprogramm soll dazu dienen, die nächste Generation kreativer Führungskräfte in Afrika auszubilden.
Tembiapo porã rã, ma nhema’e rãta arandu re (In order for the result of our work to be good, a concentrated gaze on our knowledges is necessary)
Sandra Benites
In ihrem Vortrag beleuchtet Sandra Benites Konzepte des Wissens und Lernens beim Volk der Guarani Nhandewa in Brasilien. Sie spricht über den Prozess der Formierung des weiblichen und des männlichen Körpers, der jeweils unterschiedlichen aber komplementären Pfaden folgt. Beide Prozesse – der männliche und der weibliche – erzeugen eine Vertrautheit mit existierenden Wissensbeständen (arandu), erzeugen andere Wissensformen und formen so Körper, die zugleich als Territorien fungieren. Kunst (tembiapo) zeigt sich in diesen individuellen, in Bewegung befindlichen Körpern, die ihre jeweils eigenen Fähigkeiten erwerben, aber immer innerhalb des Kollektivs leben. Das Ziel dieser Prozesse ist ein gesunder – glücklicher, aktiver – Körper, der weiß, wie man hört und fühlt (hendu). Damit das erreicht werden kann, ist es entscheidend, dass eine Reihe spezifischer Elemente vorhanden sind.
Moderation: Olga von Schubert
Abschlussdiskussion
19h
Mit den Beitragenden, Moderation: Grant Watson und Marion von Osten, Kurator*innen bauhaus imaginista
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