Vorträge, Diskussion, musikalischer Diskurs
Archive Suite
Was haben barocke Archive mit der Gegenwart gemein? Mit dem beginnenden Kolonialismus der frühen Neuzeit explodierte wie heute das Wissen über Sprachen und Zeichensysteme. Versuche, das Ungewisse einzuhegen, führten andererseits – wie gegenwärtig die Digitalisierung – zu Standardisierungen und damit zur Reduktion von Vielfalt. Archive spiegeln diese Ambivalenz und Fragilität. Materialgespräche über die Wissensorganisation in Archiven, Akademien und Alphabeten zwischen kolonialem Erbe und widerständiger Praxis: über barocke Begegnungen mit außereuropäischen Zeichensystemen, ökonomische und ästhetische Strategien im Umgang mit dem Ungewissen, über die Notwendigkeit von Lücken in Archiven und die klangliche Dimension von Alphabeten.
Kuratiert und moderiert von Karin Harrasser
Programm
18–18.30h
Ouvertüre – von der Kosmografie zur Kosmopolitik
Karin Harrasser (Kulturwissenschaftlerin) und Paul Feigelfeld (Medientheoretiker)
Gespräch
Von barocken Wissensordnungen bis in die Gegenwart widmen sich Karin Harrasser und Paul Feigelfeld in einem Gespräch der Frage, welche Transformationen sich aus den frühen barocken Begegnungen jesuitischer Missionare mit außereuropäischen Zeichensystemen ergaben. Die chinesische Schrift beispielsweise nahm Einfluss auf die Entwicklung europäischer Mathematik und der späteren Informatik. Weitere Themen sind: Kartografie, Mathematik, Skalierbarkeit, Geschwindigkeiten, Staaten, Orden und Firmen, Medien und Archive.
18.30–18.50h
Allemande
Joseph Vogl (Philosoph und Literaturwissenschaftler)
Gespräch
In mehreren Argumentationsschritten denkt der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl darüber nach, inwiefern Ökonomie und Ästhetik um 1750 als eine Reaktion auf das Unbekannte der kolonialen Expansion, als Kontigenzbewältigungsstrategien verstanden werden können. Welche Langzeit-Effekte dieses Ökonomie- und Ästhetikverständnisses finden sich bis heute in unseren Wissensordnungen?
18.50–19.10h
Courante
Britta Lange (Kulturwissenschaftlerin)
Gespräch
Mit den springenden Schritten einer Courante verbindet die Kulturwissenschaftlerin Britta Lange die Konstellation des Barock mit dem Lautarchiv Berlin und seiner prekären Sammlung, mit den Stimmen kolonisierter Subjekte, der Ordnung des Archivs und der Frage, was dennoch entkommen kann.
19.10–19.30h
Sarabande
Leonardo Waisman (Musikwissenschaftler)
Gespräch
Die vielfältige Herkunft der Sarabande (französisch, maurisch, persisch, mexikanisch) macht sie zur idealen Matrix, um über das Archivo Musical de Chiquitos (Bolivien) zu sprechen: über Musik als Körperpolitik und Vergemeinschaftungsinstrument, Regierung und Widerstand.
19.30–19.50h
Gigue
Karin Harrasser (Gambe) und Eva Reiter (Gambe)
Musikalischer Dialog
Mit zwei Gamben nähern sich Eva Reiter und Karin Harrasser dem Notenmaterial des Archivo Musical de Chiquitos. Ein praktischer Dialog über Gesten, Verkörperung, Verschriftlichung, Normierung und die Notwendigkeit von Lücken.
20.05–20.45h
Suite pour une Disparition
Tom Pauwels (E-Gitarre) und Eva Reiter (E-Gambe)
Konzert
Mit Werken von Marin Marais, Monsieur de Sainte-Colombe, Freddy Vallejos (Uraufführung), Matthew Shlomowitz, Eva Reiter u. a.