Vortrag, Gespräch
Anthropocene Lecture: Bruno Latour
Im Zentrum aktueller politischer Stürme steht die Klimafrage, argumentiert der Soziologe und Wissenschaftsphilosoph Bruno Latour. Er sieht in ihr die Bedingung gegenwärtiger Geopolitik und betont ihren inneren Zusammenhang mit Ungerechtigkeit und wiedererstarkendem Nationalismus. In seiner Anthropocene Lecture stellt er die Frage, wie in dieser Situation wieder festen Boden unter den Füßen gewonnen werden kann.
In seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch Das terrestrische Manifest betrachtet Latour die ökologische Krise des Anthropozäns als eine grundlegende Krise der Moderne. Diese hatte sich in einer Weltdefinition verschanzt, die abstrakt und ohne Bezug zu ihren materiellen Randbedingungen steht. Die moderne Gesellschaft scheint daher, ähnlich wie archaische Gesellschaften, unfähig, auf eminenten Wandel zu reagieren. Stattdessen verdeutlichen die politischen Anomalien der Gegenwart, dass die Angebote, wie auf diese Krise zu reagieren sei, unheilige Allianzen gegen das eigentliche Problem hervorbringen: Während das Kapital sorglos in eine posthumane Hypermoderne voranschreitet, wird zugleich die Flucht in nationale und ethnische Imaginationen angetreten. Wenn sich jedoch überall in Europa und anderswo Menschen nach der imaginären Heimstatt einer alten nationalen Ordnung zurücksehnen, ist es für Latour entscheidend, die Kartographie eines neuen Territoriums zu entwickeln, das sowohl örtlich zugehörig als auch weltbezogen bleibt. Er plädiert für eine Politik, die weder globalistisch noch nationalistisch agiert, sondern erdverbunden. Seinen Entwurf einer „terrestrischen Politik“ diskutiert Latour im Anschluss an seinen Vortrag mit Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
Zur Biografie von Bruno Latour
Zur Biografie von Hans Joachim Schellnhuber
Die Anthropocene Lectures laden Akteur*innen der Anthropozän-Debatte dazu ein, das Konzept neu zu akzentuieren und weiterzudenken.
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Die Reihe entsteht in Kooperation mit dem Institute for Advanced Sustainability Studies, Potsdam, und dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin.