Dialoge in drei parallelen Themensträngen
Träumende Kollektive
Mit Jennifer Gabrys, Erich Hörl, Clapperton C. Mavhunga und Laurence A. Rickels
Walter Benjamin sprach vom „träumenden Kollektiv“ der bürgerlichen Kultur, das keine Geschichte kennt und sich dem Wahn der Warenwelt hingibt. In der Geschichte der Moderne sind projizierte kollektive Träume nicht zu trennen von der Geschichte des politischen Terrors. Über Seelenprüfung, mediale Fantasmen und neue Formen der Exklusion.
Projizierte Träume von Kollektiven sind in der Moderne von der Geschichte des politischen Terrors nicht zu trennen. Dass die gelebten Formen der Kollektivität aber selbst einem Traumzustand ähneln, ist ein Vorschlag, den Walter Benjamin im Hinblick auf die Pariser Arkaden gemacht hat. Er sprach dabei vom „träumenden Kollektiv“ der bürgerlichen Kultur, das sich der Warenphantasmagorie hingibt. Wie lässt sich das „träumende Kollektiv“ als kritische und zeitdiagnostische Kategorie auf das Jahrhundert und seine Epochenträume erweitern? Wie träumt das Kollektiv im Zustand der Massenpsychose, wie unter den Bedingungen algorithmischer Umwelten und sozialer Netzwerke? Der Begriff wird hier auf die sich wandelnden Gesichter der Massengesellschaft angewandt, sowie als Terminus, der eine unbewusst bleibende, ahistorische Form der Gegenwart diagnostiziert: „Das träumende Kollektiv kennt keine Geschichte. Ihm fließt der Verlauf des Geschehens als immer nämlicher und immer neuester dahin. Die Sensation des Neuesten, Modernsten ist nämlich ebenso Traumform des Geschehens wie die ewige Wiederkehr alles gleichen.“ (Walter Benjamin, Passagenwerk)
Erich Hörl & Laurence A. Rickels
Laurence A. Rickels und Erich Hörl sprechen anhand von Daniel Paul Schrebers Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken über medientechnologische Phantasmen, Epochenträumereien und Seelenprüfung.
Jennifer Gabrys & Clapperton C. Mavhunga
Durch welche Mechanismen hat das vergangene Jahrhundert neue Strukturen der Differenz, Unterdrückung und Ausschluss produziert, während es doch neue Formen globaler Kollektive erschaffen wollte und geschaffen hat? Welche Ideen und Konzepte liegen den Begriffen von globaler Technologie oder Umwelt zugrunde? Mavhunga und Gabrys erörtern, wie das letzte Jahrhundert der ökonomischen, technologischen und ökologischen Globalisierung eine Reihe von Identitäten, Träumen, und Machtstrukturen für einzelne Communities geschaffen hat.
Biografien
Jennifer Gabrys ist Dozentin am Department für Soziologie am Goldsmiths, University of London, und Projektleiterin des ERC-geförderten Projekts „Citizen Sense“. Zu ihren Publikationen zählen Digital Rubbish: A Natural History of Electronics (2011); und Program Earth: Environmental Sensing Technology and the Making of a Computational Planet (University of Minnesota Press).
Erich Hörl ist Professor für Medienkultur am Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien (ICAM) an der Leuphana Universität Lüneburg. Er ist zudem Senior Researcher des Digital Culture Research Lab (DCRL) der Leuphana. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ausarbeitung einer allgemeinen Ökologie der Medien und Techniken sowie die Beschreibung und die Kritik des Prozesses der Kybernetisierung. Er ist Herausgeber von Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt (2011). Zu seinen Artikeln zählt unter anderem „A Thousand Ecologies: The Process of Cyberneticization and General Ecology“, in The Whole Earth. California and the Disappearance of the Outside, ed. by Diedrich Diederichsen and Anselm Franke, Berlin 2013: Sternberg Press.
Clapperton Chakanetsa Mavhunga ist Associate Professor für Science, Technology and Society (STS) am MIT und Gastprofessor an der University of the Witwatersrand in Johannesburg. Mavhunga ist der Autor von Transient Workspaces: Technologies of Everyday Innovation in Zimbabwe (2014) und hat gerade sein zweites Buch mit dem vorläufigen Titel What Does Science Mean from Africa? A View from Dzimbahwe sowie den von ihm herausgegebenen Band What Do Science, Technology, and Innovation Mean from Africa? fertiggestellt. Aktuell widmet sich Mavhungas wissenschaftliche Arbeit der „African Chemistry“ sowie einem Forschungsband über Epistemologien des Global South bezüglich Wissenschaft, Technik und Innovation.
Laurence A. Rickels ist Professor für Kunst und Theorie an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und Inhaber des Sigmund Freud Chair of Media and Philosophy an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz. Von 1981 bis 2011 war er Professor of Comparative and German Literature an der University of California, Santa Barbara. Seine wissenschaftliche Arbeit knüpft zum Teil an die Medien- und Massenkulturkritik der Frankfurter Schule an bewegt sich im Grenzbereich zwischen Psychoanalyse, Philosophie, Komparatistik und Medientheorie. Zu den berühmtesten Werken auf seiner umfassenden Liste literarischer und wissenschaftlicher Veröffentlichungen gehören The Case of California, The Vampire Lectures und die dreibändige Nazi Psychoanalysis. Sein neuestes Buch Germany: A Science Fiction erschien im März 2015.