Kuratorische Einführung

No Master Territories. Feminist Worldmaking and the Moving Image widmet sich nichtfiktionalen Arbeiten, die nach einer neuen audiovisuellen Sprache zur Darstellung genderspezifischer Erfahrung suchen. Ein besonderer Fokus richtet sich auf die Zeit zwischen den 1970er und 90er Jahren, in der Frauenrechts- und -befreiungsbewegungen international an Boden gewannen. Das Projekt versteht sich als Akt eines generationenübergreifenden Erinnerns, nutzt verschiedene Räume – Ausstellungshalle, Kino und Bibliothek – und präsentiert Filme und Videos neben Dokumenten und Kunstwerken, um eine intensive Begegnung mit diesem Filmschaffen zu ermöglichen und zentrale Werke der Vergangenheit auf heute virulente Fragen zu beziehen. Umfassende Recherchen im Dialog mit internationalen Korrespondent*innen eröffnen den Zugang zu Geschichte(n) und Genealogien, mit denen sich die festgefahrenen Debatten der derzeitigen neoliberalen Feminismen umgehen lassen.

Ausstellung und Filmprogramm konzentrieren sich auf spezifische Bereiche der Filmpraxis, die insbesondere von Frauen genutzt wurden, die eine bewusst widerständige Reformulierung aller Aspekte der Institution Film zum Ausdruck bringen wollten, auch wenn sie mit ihrer Arbeit oft an die Ränder der Filmgeschichte gedrängt wurden – selbst der feministischen: Im Mittelpunkt stehen die Traditionen von dokumentarischem und experimentellem Film und Video, zwei Stränge mit häufigen Überschneidungen, aber auch markanten Unterschieden. Mit ihrer Herkunft aus verschiedenen geopolitischen Kontexten umfassen die gezeigten Arbeiten ein Spektrum von aktivistischen Videos bis hin zu Avantgarde-Experimenten und Essayfilmen, von Doku-Fiktionen bis hin zu persönlichen Zeugnissen und beobachtenden Dokumentationen. Zumeist gehen sie auf Produktionsformen zurück, die sich deutlich von denen der Industrie unterscheiden. Ihre Öffentlichkeit fanden diese Werke vor allem in nichtkommerziellen Präsentationsformen, manchmal sogar außerhalb des Kinos. Viele zeugen von einer intimen Beziehung zum feministischen Aktivismus, in dem die Bedeutung der visuellen Medien als Mittel der Herrschaftsausübung, aber auch der Emanzipation frühzeitig erkannt wurde; andere bleiben auf Distanz zu jeglicher Form von organisierter sozialer Bewegung; wieder andere stammen von Frauen, die sich nicht als Feministinnen verstehen, in deren Arbeiten aber gleichwohl feministische Anliegen mitschwingen.

Dem Titel No Master Territories wohnt selbst ein Aspekt des Archivarischen inne, stammt er doch aus einem Titel in Trinh T. Minh-has Essaysammlung When the Moon Waxes Red: Representation, Gender and Cultural Politics (1991). Ein solches Statement ist eine geradezu abolitionistische Deklaration, durch und durch utopisch, die von der gewagten Sehnsucht nach einer Neuvorstellung der Welt zeugt. Eine Welt ohne master territories würde ein Ende von Herrschaft jeglicher Form bedeuten, nicht nur der genderspezifischen. Die Formulierung verweist auf eine feministische Agenda, die sich nicht auf eine Politik singulärer Themen reduzieren lässt. Sie greift ein geografisches Bild auf, das mit dem Erbe von Versklavung und Kolonialismus belastet ist, um im Gegenzug einen – materiellen wie epistemologischen – Zustand frei von der Tyrannei totalisierender Kontrolle und Verfügungsgewalt zu evozieren. Sie weist die Ideologie des künstlerischen „Meisterwerks“ ebenso zurück wie das romantische Konzept des kreativen Subjekts, auf das dieses sich beruft, und setzt stattdessen auf eine gegenseitige Bereicherung der Disziplinen. Sie hebt die imperialen Teilungen zwischen Zentrum und Peripherie, Herrschenden und Beherrschten auf und eröffnet einen flexiblen Raum, in dem nichthierarchische, transversale und vielleicht sogar ungeplante Verbindungen entstehen können.

Dabei geht es nicht um einen anderen Kanon oder um eine alternative wiederum nur lineare Geschichte. No Master Territories setzt auf eine dezentrale Präsentationsform. Zeit und Raum lösen sich aus ihren starren Rahmen, die Grenzen bilateraler Begegnungen werden außer Kraft gesetzt, um die Heterogenität und den Überreichtum dieses Felds zu unterstreichen. In der Ausstellung gilt eine lediglich lose thematische Ordnung, die von einer Aufteilung in Kapitel Abstand nimmt und stattdessen einer intuitiven Logik folgt. Die Besucher*innen der Ausstellung können ihren eigenen Weg ohne einen vorgegebenen „Rundgang“ wählen.

Eine Welt ohne master territories hätte mit der derzeitigen nichts zu tun. Vielleicht ist sie eine Unmöglichkeit. Und doch hat diese Forderung eine produktive Kraft. Sie bezeugt eine Abkehr von quälenden Normen und entfacht den Traum einer radikalen Neuerfindung. Die ausgestellten Praktiken nehmen diese Herausforderung an, weisen die Autorität überkommener Rahmenbedingungen von Verständlichkeit zurück. Sie begreifen das Kamerabild als Quelle der feministischen Vorstellungskraft, sehen Film und Video nicht nur als Beziehung zur Welt, sondern auch als Mittel zu deren Veränderung.

Erika Balsom und Hila Peleg

N.B.

Zur Begrifflichkeit: Wir sprechen hier in einem maximal inklusiven Sinn von „Frauen“. Gemeint sind alle, die sich so identifizieren, ungeachtet des Geschlechts, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. In den Worten der feministischen Autorin und Organisatorin Lola Olufemi steht der Begriff „Frau“ für eine „strategische Allianz, einen Schirm, unter dem wir uns versammeln, um politische Forderungen zu stellen [...] In einer befreiten Zukunft kommen wir vielleicht ganz ohne solche Begriffe aus.“

Zur Bildqualität: Es wurden größtmögliche Anstrengungen unternommen, um die ausgewählten Werke in der besten verfügbaren Qualität zu zeigen. Allerdings gibt es große Unterschiede in der Beschaffenheit des Originalmaterials, und viele Werke unterlagen prekären Archivbedingungen. Deswegen ist in manchen Fällen die Bildqualität deutlich schlechter als wünschenswert. Diese Unterschiede verweisen auf die schwierigen Umstände, unter denen manche der Arbeiten produziert wurden, und zeugen von dem Leben, das die Bilder geführt haben. Zu oft tragen sie die Spuren ihrer Marginalisierung und Verletzlichkeit am eigenen Leib.