Tafeln 77 bis 79: Aby Warburgs Zeit: Die 1920er Jahre
Ein Rundgang in vereinfachter Sprache
Dieses letzte Kapitel zeigt Bilder aus Aby Warburgs Gegenwart, den 1920er Jahren. Massenmedien verbinden und beherrschen nun die ganze Welt. Anstelle von Malerei oder Buch ist die Fotografie das moderne Bilderfahrzeug.
Das neue Medium Zeitung bringt jeden Tag Nachrichten aus aller Welt in viele Haushalte. Daneben erscheinen Werbeanzeigen, sie möchten den Menschen mit Produkten ein neues Lebensgefühl verkaufen. Der weltweite Handel und die neuen Produktions- und Arbeitsbedingungen schaffen neue Bedürfnisse. Konsum ist die neue Religion, Sport wird zum Kult.
Die Welt hat sich radikal verändert, aber die Pathosformeln sind ähnlich geblieben. Jetzt wandern sie von der Kunst in den Alltag. Wo die Mänade mit dem Messer ausholte, schwingt nun eine Golfspielerin ihren Schläger in die Höhe. Wo vorher die Nymphe ins Bild rauschte, erscheint auf Tafel 77 nun ein Matrose, der zu Schiffsreisen einlädt. Die Bänder seiner Mütze und der flatternde Kragen sind das neue bewegte Beiwerk.
Heute scheint es ganz normal, dass Bilder aus der Welt der Kunst und aus dem Alltag vermischt werden. Für Aby Warburgs Zeitgenossen jedoch waren diese Welten noch streng getrennt. Kunst war im Museum, der Alltag war auf der Straße bzw. in den Massenmedien. Aby Warburg aber war ein Grenzgänger. Er wagte die Überschreitung der damals festen Trennung von sogenannter „hoher“ und „niedriger“ Kunst. Er selbst sprach etwas belustigt von „grenzpolizeilicher Befangenheit“ bei seinen Kollegen in der Kunstgeschichte. Aby Warburgs Zugang zu Bildern war sehr offen und spielerisch. Genauso sind seine sprachlichen Bilder voller Humor – zum Beispiel das Bilderfahrzeug, oder die barocke Muskelrhetorik.
Seit Aby Warburg seinen Bilderatlas schuf, hat sich unsere Welt nochmals stark gewandelt. Bilder können heute mit einem Klick am Computer verändert und in neue Zusammenhänge gestellt werden. Jeder kann ein Bild wie aus den Nachrichten erzeugen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich die verführerische Wirkung von Bildern bewusst zu machen.
Wenn Sie sich heute in Ihrem Alltag umschauen – vielleicht begegnen Ihnen ja auch alte Götter und Göttinnen in neuen Kleidern, anders und doch ähnlich, wie sie Aby Warburg erschienen sind.