Archivsichtung

Ein Entwurf einer Arbeit Robert Barrys, ein Motorrad gestaltet von dem Designer Philippe Starck, La Boîte-en-valise von Marcel Duchamp, Texte und Publikationen der Gruppe ZERO: Das Archiv der Avantgarden (AdA) besteht aus künstlerischen Arbeiten und Entwürfen, Briefen und Fotografien, Alltags- und Designobjekten des 20. Jahrhunderts und zählt Materialkollektionen des Bauhaus und Fotodokumentationen der Fluxus-Bewegung, Dokumente der polnischen Futurist*innen oder Zeitschriften der internationalen Arbeiter* innenbewegung zu seinen Beständen.

Kernstück des AdA ist die Privatsammlung von Egidio Marzona, die im Dezember 2016 als Schenkung in den Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) überging. Das Archiv bietet einen Index des ästhetischen Denkens des 20. Jahrhunderts und ist materialer Zeuge gesellschaftspolitischer Ideen und utopischer Ideale seiner Zeit, die Fragen nach der Konstitution eines Archivs und seinem Verhältnis zu zeitgenössischen Veränderungen und Entwicklungen aufwerfen.

Derzeit wird der überwiegende Teil der Bestände des AdA in DIN A4-Ringbüchern aufbewahrt, die nicht nach den üblichen Archivierungsstandards organisiert sind; weder chronologisch noch nach Materialart oder -größe. Stattdessen verbinden diese Ordner Instanzen, Figuren und Materialien zu einer Form, die traditionelle Unterschiede von Medium und Status auflöst und stattdessen einen bewusst kuratierten Einblick in vergangene Momente, Bewegungen oder Prozesse bietet.

In Anlehnung an das Werk Die Kunstismen (1925) von Hans Arp und El Lissitzky hat Egidio Marzona seine Sammlung nach den kunsthistorischen Strömungen des 20. Jahrhunderts – den ’-ismen‘ – strukturiert. Sein Archiv, vom Jugendstil bis zu den ”Neuen Wilden“, liefert einen nahezu vollständigen Querschnitt durch das Jahrhundert. Die Archivsichtung erzeugt eine Konstellation von subjektiven Positionen, die einen Blick auf die umfangreichen Bestände des AdA gewähren. Neun Künstler*innen erforschen mit ihren eigenen Strategien Methoden und Fragen entlang der Erzählungen des AdA und eröffnen so individuelle Perspektiven auf die Sammlung. Der aktuelle Status des AdA und die Möglichkeiten der Recherche erlauben nur einen sehr spezifischen Forschungsmodus. Die direkte Begegnung mit den Archiv-Ordnern, ihren Objekten und Materialien sowie dem Sammler ist von entscheidender Bedeutung. Das Archiv befindet sich noch in der Bestandsaufnahme und bietet derzeit noch keine Datenbank. Dieser Zustand erfordert es, im Archiv für die Forschung präsent zu sein; die Suche wird zu einer räumlichen Erfahrung. Die engen Begegnungen mit dem Material und die Gespräche mit dem Sammler und den Archivar*innen fließen in die künstlerischen Arbeiten ein. In ihren Werken, von denen viele speziell für die Archivsichtung konzipiert wurden, stellen die Künster*innen Materialien aus dem Archiv in einen installativen, filmischen oder performativen Dialog.

Zusammen bilden diese Beiträge und das Archivmaterial einen dynamischen Rahmen, der gleichzeitig die Suchprozesse reflektiert, die innerhalb des AdA Gestalt annehmen. Ein einwöchiges Programm mit Lesungen, Vorträgen und Führungen bietet weitere thematische Einblicke in die umfangreichen Bestände.

Mit
Yane Calovski
Assaf Gruber
Mathilde ter Heijne
Tanja Krone
Olaf Nicolai
Gabi Ngcobo
Meg Stuart
Clarissa Thieme
Ala Younis