Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten
Notizen zum Buch von Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein (Ersterscheinung auf Französisch 1988)
Balibars und Wallersteins Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten geht grundlegenden Widersprüchen der historischen Kategorien von „Rasse“, „Klasse“ und „Nation“ im Kapitalismus nach. Für die Funktionsweise des Kapitalismus müssten Rassismus und Nationalismus eigentlich nachteilhaft sein, weil sie das Potenzial an ausbeutbarer Arbeit nach nicht profitorientierten Maßgaben beschränken und organisieren. Staaten wiederum erweisen sich als problematisch, weil sie den Kapitalfluss behindern oder regulieren. Und doch hat sich die kapitalistische Produktionsweise flächendeckend durchgesetzt, ohne die Nation-Form aus den Angeln zu heben oder den Rassismus einzuschränken. Wohl aber verändern sich Nation und Rassismus in unterschiedlichen Kontexten und bringen immer wieder neue Konjunkturen hervor.
In ihrer historischen Analyse arbeiten Balibar und Wallerstein heraus, wie Rassismus im Zusammenhang mit der Konstituierung von Klassen aufkommt und damit die soziale Stratifikation sichert. Zugleich wird er konstitutiv für die Ausbildung von „Staat“ und „Volk“, weil so (interne) Ein- und Ausschlüsse relativ flexibel organisiert werden. Nationalismus wiederum mobilisiert die Gesellschaft sowohl für die Abgrenzung eines Staates gegenüber anderen als auch für imperialistische Strategien. Nicht zuletzt erzeugt Rassismus konkrete Realitäten, in denen Menschen bedroht werden und gezwungen sind, unter elenden Bedingungen zu leben – und in denen andere wiederum bevorteilt werden. Die Einsichten Frantz Fanons darüber, wie Rassismus als soziales Verhältnis produziert und reproduziert wird, sind hier deutlich herauszulesen.
Konstatiert wird im Buch auch eine historische Veränderung und Veränderbarkeit des Rassismus: In seiner aktuellen Form arbeitet er weniger mit Naturalisierungen in Bezug auf biologische Kategorien, vielmehr werden Kulturen konstruiert – und wiederum naturalisiert –, die als unvereinbar gelten. Zugleich verbindet sich dieser kulturalistisch argumentierende Rassismus, der manche Menschen als physisch und psychisch untauglich für bestimmte Arbeiten darstellt, mit einer meritokratischen Grundhaltung. So „wird die Missgunst der einkommensschwächeren gegenüber den vermögenderen Schichten geringer sein, weil [...] diese Differenzen auf der Grundlage von Leistung und Verdienst gerechtfertigt werden, und nicht unter Berufung auf die Tradition. Man denkt, mit anderen Worten, dass ein durch Leistung erworbenes Privileg für die meisten Menschen moralisch und politisch akzeptabler sei als ein vererbtes Vorrecht“ (Immanuel Wallerstein).
Rasse, Klasse, Nation arbeitet heraus, wie diese auf den ersten Blick für die Aufrechterhaltung jeder Herrschaft so produktiv zueinander stehenden Kategorien in Widerspruch miteinander geraten. So zeigt das Buch auf sublime Weise, was sich jede politische Strategie, die gegen diese Kategorien arbeiten möchte, vergegenwärtigen muss: erstens, dass sich die historischen Kategorien von „Rasse“, „Klasse“ und „Nation“ in ihrer Konstellation erneuern können, sie sich zweitens ihre Widersprüche zunutze machen muss, dass sie jedoch drittens nicht zu umgehen sind.