Maßstab
Mit Beiträgen von Emily Scott (History and Theory of Architecture, ETH Zurich), Elena Bougleux (Anthropology and Epistemology of Complexity, University of Bergamo), Tadzio Müller (Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin). Moderation: Roman Brinzanik.
Eine der zentralen Herausforderungen des Anthropozäns besteht darin, für die vielen raumzeitlichen Maßstäbe zu sensibilisieren, um die es geht, wenn wir vom Erdsystem sprechen – sie zu verstehen und Übergänge zwischen ihnen zu schaffen. Von der Makro- über die Meso- zur Mikroebene ist Maßstab ein Begriff, der über den bloßen Messvorgang hinausgeht. Denn er hat auch mit den Feinheiten der Wahrnehmung, Vermittlung und Erfassung von Größe, Bandbreite und Dauer zu tun. Ohnehin sind Raum und Zeit anscheinend gekrümmt, woraus sich Widersprüche zwischen dem ergeben, was wir in der Regel unter „nah“ oder „fern“, „langsam“ oder „schnell“ verstehen. Und in der zunehmenden Spezialisierung der Wissensgebiete kommt es häufiger vor, dass verschiedene Maßstäbe von verschiedenen Disziplinen behandelt werden. Die unter Teilchenphysikern gebräuchlichen Maßstäbe unterscheiden sich naturgemäß von jenen der Historiker.
Doch unter den aufkommenden Themen des Anthropozäns überspannen gerade die wichtigsten – etwa die Evolution anthropogener Landschaften, die von Energiesystemen erzeugte Pfadabhängigkeit oder die operativen Rahmenbedingungen der Geopolitik – inkongruent die konvergenten Skalen in Raum und Zeit. Menschliches Handeln und seine Folgen gehorchen nicht länger dem menschlichen Maß. Das Wachstum und Schrumpfen von Volkswirtschaften, Städten und Bevölkerungen zieht intensive umweltliche und selbst geologische Folgen nach sich. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Skalieren der Skalen als heiß umstrittene politische Arena dar, in der um die Schaffung angemessener Wissensformen gerungen wird. Mit welcher geistigen Haltung oder gar mit welchen kombinatorischen Hilfsmitteln können wir innerhalb eines multiskalaren Dimensionsmodells kommunizieren, interpretieren und handeln?
