Jurybegründung für den Preisträger / Übersetzer

Michail Schischkin: Venushaar
Aus dem Russischen von Andreas Tretner
Roman, Deutsche Verlags-Anstalt 2011

„Michail Schischkins Roman „Venushaar“ zeichnet sich durch thematische Komplexität und eine grosse Vielfalt von Redeweisen, Sprachgesten und Stilvarianten aus. Zur Sprache kommen tschetschenische Flüchtlinge (als Gesuchsteller bei der schweizerischen Einwanderungsbehörde) und deren „Vernehmer“, der in assoziativen Erinnerungen sich ergehende „Dolmetsch“ und die 1899 geborene russische Sängerin Isabella Jurjewa, in deren (fiktiven) Tagebuchaufzeichnungen Epochenschilderungen kontrastreich mit palindromischen Wortspielereien abwechseln. Zu diesem Stimmenchor gesellen sich zahlreiche Anspielungen und (verdeckte) Zitate, die ein komplexes intertextuelles Gewebe bilden.

Andreas Tretner ist es auf virtuose Weise gelungen, die Bezüglichkeiten aufzudecken und die unterschiedlichen Sprachregister und –masken abzubilden. Bibel- und Verhörton, elegische Liebesreminiszenz und Jargon der Gewalt, poetische Introspektion und Xenophonsche Archaik finden eine plastische Wiedergabe. Als besonders anspruchsvoll erwiesen sich die brüsken Stil- und Rhythmuswechsel, die oft einen einzigen Satz polyphon erklingen lassen. Mit wachem Ohr hat Andreas Tretner jede Sprachbewegung subtil nachvollzogen und damit die enorme Detailarbeit, die in diesem allseits überraschenden Roman steckt, optimal zur Geltung gebracht. Eine meisterliche Übersetzung eines Meisterwerks.“

Berlin, 29. Juni 2011, verliehen durch

Bernd Scherer (für das Haus der Kulturen der Welt ) und
Jan Szlovak (für die Stiftung Elementarteilchen)