2.–4.12.2009
Lifelines #2: Nuruddin Farah
Kosmopolit, Polyglott, Grenzgänger: Nuruddin Farah zählt zu den bedeutendsten afrikanischen Schriftstellern der Gegenwart und gilt als aussichtsreicher Anwärter auf den Literaturnobelpreis.
Farah versteht sich als nomadisierenden Weltbürger, der trotz aller Grenzüberschreitungen im Exil seine politisch zerrüttete Heimat Somalia in den Fokus seines Schaffens stellt. Dort wurde er 1945 als Sohn einer Dichterin und eines Übersetzers in das Erzählen, Übersetzen und Vermitteln zwischen Sprachen, Kulturen, sowie zwischen realen und mythischen Welten hineingeboren. Aufgewachsen und erzogen mit fünf Sprachen, entwickelte das „Wunderkind“ Nuruddin Farah die erstaunliche Begabung, sich eindrucksvoll zwischen all diesen Welten mittels der Kraft der Worte zu bewegen.
In Indien studierte er Philosophie, Soziologie und Literaturwissenschaften, zeitgleich schrieb er seinen ersten Roman „From a Crooked Rib“, der ihm mit Erscheinen 1970 internationale Anerkennung und die Ächtung durch die somalische Regierung einbrachte. Während eines Studienaufenthalts in England wurde Farah 1976 durch die somalische Militärdiktatur unter Siyaad Barre in Abwesenheit zum Tode verurteilt und somit zu Jahrzehnten im Exil. Farah sollte 22 Jahre nicht mehr nach Somalia zurückkehren, er lebte und lehrte in verschiedenen Ländern Afrikas, Europas und den USA. Seit 1998 lebt er in Kapstadt, Südafrika.
Der kraftvolle Stil von Bilder und Metaphern zeichnet sein breit angelegtes Oeuvre aus, das im Zentrum die Frage nach der Freiheit des Einzelnen stellt. Soziale Verflechtungen und Beziehungen bilden das Spielfeld für Freiheit und Autonomie des Einzelnen, auf dem sich das Selbst formt und geformt wird. In seinem Werk begibt sich Farah auf die Suche nach sozialer, persönlicher, familiärer und sexueller Identität in einem Umfeld von Diktatur und Gewalt. Über die ästhetische Qualität seines Erzählens, Fabulierens und Dichtens hinaus verhandeln seine Texte stets Inhalte von großer gesellschaftlicher Dringlichkeit und werden damit zu Kommentaren und kritischen Interventionen des aktuellen Zeitgeschehens – besonders in den beiden Romantrilogien Variations on the Theme of an African Dictatorship (1980-1983) und Blood in the Sun (1986-1999). Als globaler Denker einer postmodernen Welt nimmt Farah vor allem Bezug auf kontroverse und schmerzhafte Themen, wie die Rolle von Frauen in patriarchalen Gesellschaften, religiöser Fundamentalismus, globale Gerechtigkeit und nicht zuletzt Kriege und Krisen in Somalia und weltweit. Von seiner jüngsten, noch unabgeschlossenen Trilogie über das vom Bürgerkrieg zerrissene und von Korruption zerfressene Somalia erschienen bislang die Teile »Links« (2004) und »Knots« (2007).
Farahs Romane, Theaterstücke und Hörspiele wurden in zwanzig Sprachen übertragen; in Somalia kursieren sie als Untergrundliteratur. Er wurde weltweit mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter mit dem Tucholsky Literaturpreis (1991), dem Premio Cavour (1994), dem internationalen Neustadt-Literaturpreis (1998), dem Lettre Ulysses Award (2003) und dem Sandro-Onofri-Preis für erzählende Reportage (2003). Für sein Gesamtwerk wurde ihm von der African Literature Association der Fonlon-Nichols Award 2000 verliehen. Im Sommersemester 2007 lehrte Farah als Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität Berlin.