Mona Abaza: Markt und Religion in Ägypten

Markt und Religion in Ägypten

von Mona Abaza


Das Verhältnis von Religion und Markt in der ägyptischen Gesellschaft ist offensichtlich ein paradoxes Phänomen. Beobachter gehen davon aus, dass die Islamisierung der Gesellschaft ursprünglich von der Regierung Sadat initiiert wurde, um säkularen und kommunistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Später, als sich die islamische Bewegung ausbreitete, blieb das Regime zwar seiner Strategie treu, versuchte jedoch, die Islamisierung „von oben“ zu steuern, um den islamischen Untergrundbewegungen entgegenzutreten. Die Reaktion der frühen islamischen Opposition der späten 1970er und frühen 1980er Jahre (hauptsächlich junge Männer und Frauen) wurde als Protest gegen die Expansion der Konsumwelt und die Amerikanisierung der Gesellschaft verstanden – einer Folge der von Sadat initiierten Politik der offenen Tür. Im Laufe der 1990er Jahre drang die Islamisierung in die verschiedensten Gesellschaftsschichten vor. Und je stärker sich die petro-islamische saudische Weltanschauung profilierte, desto weniger waren Protest und Islam voneinander zu trennen. Infolge der „Saudiarabisierung“ und der massiven Auswanderungswelle in die ölproduzierenden Länder wurde die Amerikanisierung der ägyptischen Gesellschaft in neue Bahnen gelenkt. Seitdem prägt der Import von hartwährungsfinanzierten Lebens- und Kleidungsstilen zunehmend die Lebenswelten der islamisierten Mittelschichten. Die Freizeit verbringt man zunehmend in Shopping-Malls, die trotz Wirtschaftskrise allerorts in Kairo neu gebaut werden. Die paradoxe Verbindung von Religion und Marktwirtschaft scheint soweit geglückt.


Bekanntlich werden Städte der Dritten Welt zunehmend zu infernalischen Orten, die unter wachsender Umweltverschmutzung, Armut und Überbevölkerung leiden. Kairo hält den fragwürdigen Rekord, eine der am dichtest besiedelten Städte der Welt zu sein. Ich bin alles andere als eine Apologetin des rasenden, konsumorientierten Lebensstils der neuen Bourgeoisie der Dritten Welt. Dennoch wird es offensichtlich immer schwieriger, den Widerstand der Armen gegen die herrschenden globalen Verhältnisse im Spannungsfeld brutaler Unterdrückung der Menschenrechte, einer Fixierung der Intellektuellen auf political correctness und dem Niedergang des Marxismus adäquat zu beschreiben. So erzählte mir ein Freund von einer neuen Erscheinung, den „Einkaufssimulanten“, die in den Carrefour-Megamärkten entstanden seien. Diese Menschen können sich dort offenbar keinen Einkauf leisten: Sie simulieren ein flüchtiges Vergnügen, indem sie ihren Einkaufswagen randvoll füllen, um ihn dann kurz vor der Kasse stehen zu lassen. Die „Als ob“-Handlung scheint in gewisser Weise den Schaufensterbummel und ganz offensichtlich auch den realen Einkauf zu ersetzen und Jan Baudrillards Voraussicht zu bestätigen.


Das Einkaufszentrum ist zum neuen Schauplatz sozialer Interaktion geworden, ein Ort, an dem Lebensstile geprägt und Konsumbedürfnisse befriedigt werden; ein Ort, der Jugendlichen und jungen Berufstätigen Raum bietet. Restaurants, Geschäfte und der Dienstleistungssektor haben sich weite Teile der Jugend erschlossen. Zweifellos wirkt sich dies auch auf den Kleidungsstil aus und weckt den Wunsch, modern gekleidet zur Arbeit zu erscheinen. In Shopping-Malls konnte ich oft beobachten, wie Frauen ihr Kopftuch oder ihre „islamische Tracht“, ablegen, sobald sie ihre Tätigkeit als Kassiererinnen, Kellnerinnen oder Verkäuferinnen aufnehmen, um sie wieder anzulegen, wenn sie nach Hause gehen. Diese vielsagende Maskerade verrät, wie sehr junge Frauen zwischen verschiedenen Lebensstilen vermitteln müssen. Diese Dualität sollte näher untersucht werden: Es geht darum, zwei Welten, einem „Innen“/„Außen“, gerecht zu werden – den dicht besiedelten und armen volkstümlichen Stadtvierteln, die intensiver sozialer Kontrolle unterliegen, ebenso wie dem modernen Arbeitsumfeld in den Einkaufszentren. Seit der Islamisierung des öffentlichen Raums in den 1990er Jahren haben die Menschen offensichtlich Überlebensstrategien entwickelt, die es ihnen ermöglichen, innerhalb des islamischen Bezugsrahmens eine „Lockerung der Normen“ zu verhandeln.


Auszug aus: Mona Abaza: „The Changing Consumer Cultures of Modern Egypt: Cairo's Urban Reshaping”, Brill, Leiden/Boston, 2006