Samia Mehrez: Ägyptens Kulturkriege

Ägyptens Kulturkriege

von Samia Mehrez


In der Ära Mubarak begann sich der ägyptische Staat erneut auf kulturellem Sektor zu engagieren. Noch unter Präsident Sadat waren der Kulturbereich und seine Akteure vergleichsweise marginalisiert worden. Die staatliche Kontrolle der Kultur unter Mubarak war eine konsequente Strategie, um dem zunehmenden Einfluss islamistischer Bewegungen und Gruppierungen (einem Erbe der Sadat-Politik) zu begegnen. Sie richtete sich auch gegen den so genannten „islamischen Trend“ – eine Begriffsprägung Gregory Starretts –, der das zunehmende Übergreifen religiöser Diskurse auf die Zivilgesellschaft und den öffentlichen Raum durch Schule, Medien und Markt beschreibt. Doch der ägyptische Staat verfolgte widersprüchliche Strategien: Einerseits bemühte er sich, ein säkulares Image wiederzugewinnen, andererseits setzte er verstärkt auf islamische Symbole, um sich als alleinige moralische und religiöse Autorität zu profilieren. Dies sollte auch den Kontrollverlust über politische und wirtschaftliche Bereiche kompensieren, die inzwischen immer stärker von internationalen, globalen Kräften dominiert werden. Mit seiner Fixierung auf Machtspiele und Selbsterhaltung hat der Staat letztendlich den Ärger der Zivilgesellschaft und der zivilen Institutionen auf sich gezogen und musste sich mit dramatischen Manifestationen einer offenbar neuen Kultur des Dissenses auseinandersetzen.


Obwohl die staatliche Kontrolle der Kultur auf lokaler Ebene offensichtlich ein zentrales Ziel war, konnte man sich den Strömungen globaler Kapital- und Privatisierungspolitik nicht gänzlich verschließen. Ebenso wenig konnte man den Kampf um Demokratisierung und die zivilgesellschaftlichen Bewegungen verhindern, die die Ära Mubarak prägten. Die so gewachsenen neuen Realitäten hatten nicht nur Folgen für die Wirtschaft. Sie sorgten auch dafür, dass der Kultursektor neuen Symbolwert gewann. Er war jetzt nicht mehr abhängig vom Staat als Arbeitgeber, nicht mehr abhängig vom staatlichen Kulturapparat. Schließlich hatte die Privatwirtschaft auch die Welt der Verlage und Übersetzungen, der Film- und Medienproduktion, der privaten Galerien und globalen Kunstmärkte erreicht. Diese Entwicklungen schufen neue Rahmenbedingungen für die kulturelle Produktion und die kulturellen Akteure selbst. Sie konnten nun neue Nischen des Widerstands gegen die staatliche Dominanz besetzen.


Fallstudien haben sich mit den Strategien befasst, die die kulturellen Akteure bei ihrem Widerstand verfolgten. Dadurch geriet auch die verbreitete Darstellung ins Wanken, in den Kulturkämpfen Ägyptens hätten sich ein autoritärer Staat und ein unterworfener Kultursektor binär gegenübergestanden. Durch die wachsende, global orientierte Privatwirtschaft in der Welt der Massenmedien, des Kinos und der Kunst sind neue Foren entstanden: Satellitenfernsehen, private Kunstgalerien, internationale Ausstellungen, Biennalen, internationale Festivals, neue Finanzierungsmöglichkeiten und Produktionsbedingungen. Sie ermöglichen den Kulturschaffenden, ihr Verhältnis zum politischen Sektor neu zu definieren.


Ein weiterer Aspekt ist, dass die Spielregeln der Zensur inzwischen längst nicht mehr ausschließlich vom politischen Sektor festgelegt werden. Die Autonomie des Kulturbereichs wird durch extrinsische religiöse, ästhetische und soziale Werte bedroht, die die ägyptische Gesellschaft in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren bestimmt haben. Tatsächlich scheint der Staat öffentliches Terrain an religiöse Autoritäten (islamische wie koptische) und nichtstaatliche Akteure abzutreten und ihnen zuzugestehen, kulturelles und künstlerisches Schaffen zu zensieren. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass der Staat seine Vorherrschaft sehr wohl zu erhalten weiß. Er erkennt das politische Potenzial religiöser Autoritäten und Gruppierungen (islamischer wie koptischer) – manipuliert sie und hält sie in Abhängigkeit. Bedenken sollte man jedoch, dass diese Strategie zu einer Zunahme der Eingriffe des religiösen Sektors in den kulturellen Bereich geführt hat. Möglicherweise verspielt der politische Sektor damit seinen vermeintlichen Heimvorteil.


Auszug aus: Samia Mehrez: „Egypt’s Culture Wars: Politics and Practice”, Routledge, 2008