Gespräch mit Gaoyan Jinzi, Luo Lili und Liu Sola

Gespräch mit Gaoyan Jinzi, Luo Lili und Liu Sola "Meine Mutter fragt immer: 'Warum sieht Dein Tanz so hässlich aus?'"


HKW: Luo Lili, wie bewerten Sie diese unglaubliche historische Reise von der Kulturrevolution bis zur Öffnung gegenüber dem Westen und hin zum modernen Wachstum Chinas? Wie spiegelt sich das in Ihrer Kunst, oder auch in Ihrer Beziehung zu ihrer Tochter Gaoyan Jinzi und allgemein in Ihrer Arbeit?


Luo Lili: Ich bin mit der chinesischen Tradition des Tanzens aufgewachsen. Es ist eine großartige Tradition. Die Menschen haben viel geopfert für diese Tradition. Traditioneller chinesischer Tanz erfordert viele Regeln, die respektiert werden müssen. Regeln der Mimesis, die Kleidungsetikette. Alles muss sehr sorgfältig befolgt werden. Der zeitgenössische chinesische Tanz unterliegt der individuellen Interpretation. Die Tradition ist gut und sollte erhalten werden, aber durch diesen individuellen Zugang können neue Formen des Ausdrucks entwickelt werden. Man kann den Tanz mit der Liebe vergleichen. Die Öffnung Chinas hat neue Formen tänzerischen Ausdrucks und neue Formen des Liebens hervorgebracht. Zwischen mir und meiner Tochter besteht ein kultureller Konflikt, der sich auf der Bühne ausdrückt. Ich tanze traditionell und schön. Meine Tochter nähert sich dem Ganzen auf abstrakter Ebene.


HKW: Liu Sola, wie arbeiten Sie als Komponistin mit den Tänzerinnen zusammen? Nehmen Sie eine Dramaturgie oder ein Konzept als Grundlage, oder arbeiten Sie praxisorientiert und inspirieren sich gegenseitig während der Proben?


Liu Sola: Ich habe den Tanz der Mutter skizziert. Dann habe ich die Musikstruktur entworfen. Sie kommt aus der Tradition des Bagua, einer chinesischen Heil- und Kriegskunst. Im Bagua gibt es drei Linien, zwei lange, zusammenlaufende Linien und eine kurze. Als ich auf diese Linien blickte, sah ich darin Kampf zwischen Mutter und Tochter. Entsprechend finden sich zwei Instrumente zusammen, das dritte setzt sich davon ab. Die Trommeln und mein Gesang klingen wie ein Wiegenlied, aber der extreme Klang der Pipa stemmt sich dagegen. Die gesamte Musik zu Jue basiert auf diesen widersprüchlichen Elementen.


HKW: Luo Lili, Sie haben den Gegensatz zwischen dem Traditionellen und Zeitgenössischen herausgestellt. Durch die Kulturrevolution und den Kommunismus hat Kultur auch eine ethische Bedeutung.


Luo Lili: Während der Kulturrevolution war ich noch ganz jung. Und es war eine große Freude für uns, für die Arbeiter und Bauern unter ganz bescheidenen Bedingungen auf dem Land zu tanzen. Zu dieser Zeit kannten wir keine Individualität. Der einzige Sinn des Tanzens war es, dem Volk zu dienen. Zu dieser Zeit waren wir glücklich. Ich fühlte mich allen anderen sehr nah, ob es Soldaten oder Bauern waren. Ich empfand damals, dass unsere Herzen und die aller anderen eins waren. Es gibt bei uns viel Tanztheorie, aber unser Tanz kommt aus dem Leben und spiegelt das Leben wider.


HKW: Menschen zu helfen scheint irgendwie etwas mit Gutsein zu tun zu haben, mit Traditionell-Sein, mit Schön-Sein. Wird das gegen einen Zusammenhang Individuell-, Zeitgenössisch-Sein, Unglücklich- und Hässlich-Sein gestellt?


Gaoyan Jinzi: Man kann nicht einfach die Freude der Tradition zuordnen und umgekehrt. Im traditionellen Tanz gibt es negative Elemente, im modernen Tanz positive. Ein Beispiel: Schon als Kind liebte ich es zu tanzen, es war wie ein Instinkt. Aber natürlich tanzte ich ohne traditionelle Ausbildung, also ziemlich hässlich. Trotzdem machte es mich schon damals glücklich. Eines Tages sagte meine Mutter: "In Ordnung, ich sehe du liebst das Tanzen, ich bringe es dir bei. Aber es gibt viele Regeln, die ich dich lehren muss." Als meine Mutter mich tanzen sah, schien ihr alles so hässlich, denn es enthielt keine von all diesen schönen Elementen. So begann ich mich mit dem Reichtum des traditionellen Tanzes zu beschäftigen. Heute widme ich mich vornehmlich dem Modernen Tanz. Aber meine Mutter fragt immer noch: "Warum sieht Dein Tanz so hässlich aus?" Ich denke, gerade dies ist die Beziehung zwischen dem traditionellen und dem modernen Ausdruck. Wir betrachten die Schönheit nämlich aus eigener Sicht. Und was ich als schön betrachte, betrachtet meine Mutter nicht unbedingt als schön.