2020: In der Schwebe

Meg Stuart, Intermission

Wie kann sich eine Institution während einer Pandemie neu erfinden? 2020 hat die Kulturwelt stärker verändert als jedes andere. Zwischen harten und weichen Lockdowns, im Homeoffice oder in Quarantäne, mit einem Gefühl zwischen Apokalypse und radikalem Neubeginn entstand ein Moment in der Schwebe .

Statt reflexartigem Umschwung in die digitale Produktion, ließ sich das HKW Zeit, zusätzlich zu den laufenden Projekten zwei neue Formate zu entwickeln, eines digital, eines analog, eines mit Blick auf Berlin, eines mit Blick auf die Welt. Und beide trafen den Nerv der Zeit.

Die digitale Serie CC: World versammelt Gedanken, Ideen, Beobachtungen und Spekulationen aus allen Teilen der Erde. Es entstehen intime Konversationen. Aber die Welt liest mit. Gezeichnet wird ein Bild einer Welt, die ihre Verwerfungen nicht länger zu verbergen vermag. Die Zusammenhänge zwischen globalen Verwerfungen wurden durch die Vokabel „Anthropozän“ denkbar und verständlich. Durch die Pandemie fanden sie als Grundlagenzerstörung und Grundlagenkritik Eingang in die Kultur: Die Pandemie ließ das Anthropozän geradezu in den Kulturinstitutionen ankommen, Sinnfragen nach Systemrelevanz von Kultur mussten neu diskutiert werden, der Wert körperlicher Nähe zum Leben und zum Lernen musste neu justiert werden.

Das Privileg, stabil aufgestellt zu sein und nicht ums Überleben kämpfen zu müssen, sorgte dafür, dass Gedanken der Solidarität das Sommerprogramm nach dem ersten harten Lockdown bestimmten. Statt einer international ausgerichteten Wassermusik entstand das Programm 20 Sunsets auf der Dachterrasse des HKW: Diese Terrasse wurde Wunschort für magische Momente im Sommer. Die ersten und einzigen größeren Konzerte in Berlin konnten open air stattfinden, ebenso Literatur und Kinovorführungen. Ergänzt um die kleine Ausstellung A Slightly Curving Place und in fulminanter Verbindung mit dem neu gestalteten und neu betrieben Restaurant Weltwirtschaft. Nie fühlte es sich wichtiger an, Kulturraum zu teilen, nie wusste das Publikum es mehr zu schätzen.

Im Herbst konnte mit der Ausstellung Aby Warburg: Bilderatlas Mnemosyne. Das Original ein Projekt realisiert werden, das Geschichte schrieb, weil es erstmals die Originaltafeln von Warburg zusammenbrachte. Gleichzeitig konnten dadurch zeitgenössische Fragestellungen verfolgt werden: Inwieweit ist das visuelle Gedächtnis von Gesellschaften durch Machtstrukturen und Gefälle beeinflusst? Welche Impulse für digitales Denken gab Warburg bereits? Die steile Lernkurve in digitaler Produktion ließ die Programmarbeit jedoch nicht stillstehen, Inspirationsketten konnten nonstop verfolgt werden. Aber auch die folgende Impfkampagne kann nicht mehr verhindern, dass das Gefühl von Nähe und Distanz, vom Gemeinschaft und Individualität, für immer verändert bleibt.