Kongresshalle eingestürzt – aber der Flügel ist doch noch zu gebrauchen
1980. Die Mitarbeiter der Berliner Festspiele waren fleißig in ihren Büros tätig, die sich zu dieser Zeit im „Bikini-Haus“ – einem lang gestrecktem Gebäude an der Budapester Straße – befanden. Der Arbeitsplatz war für einige Privilegierte mit einem herrlichen Blick auf den angrenzenden Zoo und den Tiergarten verbunden. Die im Tiergarten gelegene Kongresshalle war damals kaum genutzt und wurde nur ab und an von Ereignissen, wie dem von den Festspielen veranstalteten Festival der Weltkulturen „Horizonte“ belebt.
Wir arbeiteten also an diesem lauen Sommertag still vor uns hin, als uns ein ziemlich lauter Krach aus den Überlegungen für weitere Festival-Aktivitäten aufschreckte. Es klang so, als ob im Zoo irgendwas explodiert wäre. Man lief an den Fenstern auf der privilegierten Seite des Gebäudes zusammen und schaute hinaus auf eine ziemlich weit entfernt aufsteigende Rauchfahne. „Das ist im Osten – da hat jemand die Mauer gesprengt“ – so und ähnlich lauteten die kühnen Vermutungen. In der Empfangs-Pforte gab es ein Radio und schon nach wenigen Minuten war uns klar, dass es die eingestürzte Kongresshalle gewesen sein musste. Die Rauchfahne legte sich allmählich und man ging irgendwie zum gewohnten Geschäft über.
Am folgenden Tag orderte mich Ulrich Eckhardt, Intendant der Festspiele, in sein Büro und teilte mir mit (nicht wörtlich aus der Erinnerung wiedergegeben): „Wir haben ja alle gesehen, wie die Kongresshalle eingestürzt ist – es ist ja nur das Dach und das wird man sicher leicht reparieren können. Wir müssen uns nun unbedingt überlegen, was wir mit dem Ding machen – das will ja keiner haben. Aber zunächst möchte ich wissen, ob der Flügel noch ganz ist. Wir haben dort ja neulich diese Veranstaltung gemacht und da habe ich im Restaurant einen Steinway gesehen. Den müssen wir retten. Gehen Sie doch mal mit einem Klavierstimmer da hin und lassen Sie den prüfen, ob das Instrument noch brauchbar ist.“
Na ja, an einem heißen Tag stand ich dann nach vielen Telefonaten mit Polizei, Feuerwehr, Hochbauamt, etc. mit einem Bayern in Lederhose vor dem weiträumig abgesperrten Gebäude. Der Bayer war der besagte Klavierstimmer. Wie zwei gaffende Touristen wurden wir von den zuständigen Gebäudeschützern erstmal fortgeschickt, dann argwöhnisch beäugt, und dann, da wir ja angemeldet waren, in die Halle des Restaurants eingelassen. „Nee, jefährlich ist det nich’“, wollte mich der Wachmann auf meine besorgte Frage beruhigen, „det ham wa allet jeprüft.“ Beruhigt hat mich das in keiner Weise – das Dach wurde schließlich auch ab und an „geprüft“. Die Halle des Restaurants liegt direkt an der Spree. Das Sommerlicht fiel milde herein und alles war friedlich. Der Klavierstimmer war ein Virtuose. Er spielte Chopin und Rachmaninow (jedenfalls bilde ich mir das im Nachhinein ein) und schwärmte: „Welch wunderbarer Flügel, ja den muss man retten.“
Ich weiß nicht, was aus dem Flügel geworden ist. Der Klavierstimmer gab seine Expertise direkt an Ulrich Eckhardt. Aus der wieder instand gesetzten Kongresshalle wurde auf Initiative des Festspiel-Intendanten schließlich das Haus der Kulturen der Welt. Der Einsturz ließ die Idee aufblühen.
Bernd Krüger
Wenige Tage nach dem Teileinsturz des Gebäudes im Mai 1980 pilgerte auch ich zum geschundenen Wahrzeichen der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Trotz meiner tiefen Erschütterung über das Unglück mußte ich schmunzeln, als ich die Aufschrift auf einem beim Einsturz zerschmetterten Auto las: „Bauen Sie mit uns: massiv, schlüsselfertig, zum Festpreis.“ Andreas Kübler