Jimmy Carter, fulminante Silvesterfeiern und der Dacheinsturz
Ronald Urbaschek, bis zum Einsturz im Mai 1980 Küchenleiter des Kongresshallenrestaurants, erzählt vom Restaurant, vom Besuch Jimmy Carters 1978 und vom Einsturz 1980. Wir haben das Gehörte aufgeschrieben.
„Obendrauf immer eine Nuss: Chefkoch Ronald Urbaschek präsentiert die Käsecreme-Häppchen, die Carter und seiner Begleitung heute serviert werden.“ – BILD Berlin berichtet am 15. Juli 1978 zum Besuch von Jimmy Carter in Berlin und zum Bürgertreffen in der Kongresshalle. Ronald Urbaschek hält eine große Häppchen-Platte ins Bild, darüber titelt BILD groß: „Kongresshalle: In Carters Häppchen stecken Nüsse“. Was auf die Schnittchen kommt, haben Washington und der Berliner Senat vorher abgestimmt. BILD weiß auch das Budget pro Gast am Buffet – 29 Mark.
Ein knappes Jahr später, im Frühjahr 1979, wird der große „Bruder“ – und große Mitbewerber – ICC eröffnet, wie die Kongresshalle von der Ausstellungs-, Messe- und Kongressgesellschaft Berlin (AMK) betrieben. Auch die Gastronomie beider Häuser hat einen gemeinsamen Betreiber: Kempinski bewirtschaftet ICC, Funkturm und Kongresshalle. Für die gibt es inzwischen einen gemeinsamen Einkauf; immer häufiger wird in der Kongresshalle nicht mehr individuell gekocht, d. h. große Buffets in der Kongresshalle werden im ICC vorproduziert. Regelmäßig helfen angelernte Servicekräfte aus dem ICC-Bestand im traditionsreichen Kongresshallen-Restaurant aus.
So kann man also auf offiziellen Fotografien der Berliner Fotografin Helga Simon vom Silvesterball 1979 blaue Luftballons mit dem Aufdruck „ICC“ sehen, die die Säulen schmücken. Ein Netz mit noch mehr bunten Luftballons schwebt über einem überbordenden Häppchenbuffet, das von einem mannsgroßen Berliner Bären aus Schokolade gekrönt wurde. Eine Schornsteinfegerin und ein echtes lebendes Glücksferkel wünschen „Prosit Neujahr“ 1979. Die Polonaise der Damen in langen Abendkleidern und der Herren in Anzügen geht durch das Restaurant die Treppe hinauf zur Sektbar auf der Restaurantempore. Seit der Eröffnung 1957 sind rauschende Silvesterbälle im Restaurant Tradition.
Nicht einmal eineinhalb Jahre später – am 20. Mai 1980 – bietet sich ein anderes, schreckliches Bild. Zunächst arbeiten die Köche des Restaurants in der Küche, die unter dem spreeseitigen Dachflügel liegt. Plötzlich ist ein seltsames Pfeifen in der Luft, wenig später ertönt ein ohrenbetäubender Knall. Der Strom fällt aus, Oberkellner Lehmann kommt in die Küche und sagt mit fahlem Gesicht: „Die Kongresshalle ist eingestürzt!“ Der Weg vom Restaurant am Theatersaal vorbei zum großen Foyer ist gespenstisch, die Luft ist mit Staub gesättigt, der überall die Sicht verdunkelt. Das ehemals lichtdurchflutete Foyer ist ebenfalls dunkel: Die großen Gesteinsbrocken des abgebrochenen vorderen Flügels haben das Dach des Foyers durchschlagen und verbarrikadieren die Glaseingangsfront. Menschen, die beim Einsturz im Haus waren, versuchen über den Berg aus Stahlbeton unter Schock ins Freie zu klettern.
Die Kochmannschaft führt die Eingeschlossenen von dieser Sackgasse weg über den Lieferanteneingang aus dem Gebäude hinaus. Ein Mann ist dabei so panisch, dass er sich bei Versuch, den Weg durch eine Glasscheibe frei zu treten, tiefe Schnittwunden am Bein beibringt.
Inzwischen kommen neben der Feuerwehr auch Fachleute aller Gebiete und Vertreter von Kommissionen vor das Haus, um sich ein Bild von der Lage zumachen. Obwohl es inzwischen verboten ist – man musste davon ausgehen, dass auch der zweite Dachflügel noch einstürzt – geht Ronald Urbaschek noch einmal in „seine“ Küche, um den Gashaupthahn für die immer noch vor sich hinkochenden Herde abzudrehen. Und nach Wochen kommt er noch ein weiteres Mal, um zusammen mit der Feuerwehr, die Schutzkleidung trägt, die verdorbenen Bestände der begehbaren Tiefkühlräume zu erfassen, die seit dem Einsturz ohne Strom im Gebäude standen – eine grüne, undefinierbare Flüssigkeit läuft aus den Kühlvorrichtungen, Faulgase und Hitze schlagen beim Öffnen entgegen! Für die nächsten sieben Jahre wird in der Kongresshalle nicht mehr gekocht werden…