Ausstellung
A Blind Spot
Do 31.5.–So 1.7.2012
Der Begriff „blind spot“ (blinder Fleck) bezieht sich auf ein physiologisches Merkmal des menschlichen und tierischen Auges. Auf einen Bereich der Netzhaut, der keine Fotorezeptoren besitzt und in diesem Sinne also „blind“ ist. Für gewöhnlich nennt man so auch den Bereich an einem Fahrzeug, den der Fahrer nicht einsehen kann. Umgangssprachlich meint man damit etwas, das man nicht sieht, nicht sehen kann, grundsätzlich oder akut.
Dieser Begriff kann für alle Teile der sichtbaren Welt Verwendung finden, die aus Sprache, Diskurs, Wissen, Gedächtnis und Vorurteilen geformt sind. Er ruft die Debatten über Fotografie im 19. Jahrhundert in Erinnerung, für die galt, dass eine bloße „Kopie“ oder ein Abbild der Wirklichkeit verglichen mit dem imaginativen Vermögen der Kunst von minderer Qualität sei; ebenso jedoch unsere heutige Blindheit für die Lawine von Werbe- und Medienbildern.
Der Überfluss an digitalen Bildern und die gesteigerten Formen der Sichtbarkeit verweisen beide auf einen „Schwund der Bilder“ (Marie-José Mondzain) sowie auf einen „Untergang des Sichtbaren“ (Jean-Luc Godard). Die Unterscheidung zwischen den Begriffen „visuell“ und „Bild“ muss folglich als rein technische Auffassung verstanden werden, denn der zusätzliche Wert eines Bildes liegt darin, dass „es immer etwas mehr oder weniger ist als es selbst“ (Serge Daney). Darüberhinaus gibt es keine „guten“ oder „schlechten“ Bilder, aber Bilder, die der kritischen Beurteilung bedürfen und die im Gegensatz zu jenen stehen, die den Blick oder den Geist abstumpfen. Auch Fotografien ästhetisieren und stützen häufig Stereotypen, wenn sie die unbestimmbaren Qualitäten von Bildern ignorieren. Bilder funktionieren durch Lücken und Geheimnisse, wohingegen nur eine Armee von Befehlen und Werbebotschaften laut und deutlich auftritt (Gilles Deleuze). Christoper Pinney liefert in seinem, im Magazin des Berlin Documentary Forum 2 erschienenen Text zu Walter Benjamins „heilsamer Entfremdung“ weitere erhellende Einsichten.
Angesichts der neueren Debatten über das fotografische Bild in einer Ära des Digitalen und der derzeitigen Reflexionen über die dokumentarische Form in der Gegenwart, setzt sich „Ein blinder Fleck“, kuratiert von Catherine David, mit den Arbeiten von drei Generationen von Künstlern und Fotografen auseinander, die Fotografie und Film befragen.
Eric Baudelaire untersucht eine obskure historische Episode, in der die Fotografie vor der Aufgabe stand, unterdrückende Strukturen in Landschaften zu visualisieren. Elisabetta Benassi, David Goldblatt und Christopher Williams zeigen drei sehr verschiedene und herausragende Akte dokumentarischer Klassifikation. Hassan Khan dekonstruiert Chaâbi (eine populäre ägyptische Musik- und Tanzrichtung) und die von der Musik des Nahen Ostens inspirierten Experimente des englischen Musikers Muslimgauze. Die Fotografien von Joachim Koester operieren in einem Spannungsfeld zwischen Abbildung und narrativem Inhalt, und Vincent Meessen macht sich auf die Suche nach dem kolonial-französischen Kindersoldaten, der von Roland Barthes für seine klassisch gewordene semiotische Analyse verwendet wurde. Olaf Nicolai untersucht die Grenzen des Ausstellungsraumes und Melik Ohanian zeigt eine Arbeit, die für die Sharjah Biennale 2011 geschaffen wurde, wo sie aber letzten Endes nicht gezeigt werden konnte. Efrat Shvily Serie 100 Years widmet sich der israelischen „Situation“ und der Illusion, sich in einer vom Menschen gemachten natürlichen Umgebung verstecken zu können. Jeff Wall zeigt Cold Storage (2007), eine Serie, an der er seit Mitte der 90er Jahre arbeitet und die der dokumentarischen Tradition verpflichtet ist.
Die Ausstellung „A blind spot“, die im Rahmen des Berlin Documentary Forum 2 gezeigt wird, ist von den Hauptstadtkulturfonds finanziert. Mit freundlicher Unterstützung des Institut français.
A Blind Spot wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds
Mit freundlicher Unterstützung des