transmediale.08 konferenz
Bereits lange bevor das ARPANET, der Vorläufer des heutigen Internets, von einer militärisch-akademischen Forschungsgruppe in den 60er-Jahren im geheimen Auftrag der US-Luftwaffe entwickelt wurde, haben spekulative Mechanismen und Verschwörungstheorien weltweite Ereignisse beeinflusst und voran getrieben. Ebenso wie unsere Sehnsucht nach dem Begehren, dem Geheimnis und dem unvorhersehbaren Zufall ist das Verlangen nach Konspiration offenbar eine Kondition menschlichen Zusammenlebens, eine Art und Weise, eine stets komplexer werdende Welt chaotischer und manipulierter Desinformation zu entschlüsseln und zu verstehen. Das Internet hat mit dem ‚Web 2.0’ längst begonnen, sich über den benutzergesteuerten Informationsaustausch hinaus zu einer Plattform zu entwickeln, über die zunehmend auch alle möglichen populären Gerüchte und Spekulationen angefacht und verbreitet werden. Diese stehen beispielhaft für einen Kontrollverlust und das wachsende Gefühl eines Ausgeliefertseins an vermutete versteckte Mächte und Geheimbünde, aus dem heraus Mythen von Weltherrschaft, gesellschaftliche Überwachung und eine auch von staatlicher Seite aus beförderte Kultur der Angst entstehen. Die Konferenz wird untersuchen, wie wir zeitgenössische Netzwerke digitaler als auch zwischenmenschlicher Art benutzen und verstehen; sie wird Ideen diskutieren, die hinter konspirativen Akten, Strukturen und Spekulationen stehen, und die darin enthaltenen Mechanismen als neue Formen kultureller, technologischer oder politischer Strategien in Betracht ziehen.
Mittwoch 30.1., 14 h Panel 1:
The Chilean Network Experiment: From Poetics To Systemics
Moderator: Eden Medina [us], Teilnehmer: Alejandra Aravena [cl], Raul Espejo [uk], Carlos Fernando Flores [cl], Angel Parra [cl], Alejandra Perez Nuñez [cl]
Betrachtet man die Entstehung zeitgenössischer Kommunikationsstrukturen, stellt sich Cybersyn, das ‚Chilenische Netzwerk Experiment’ als ein Spiel mit technischen Systemen und der Poetik des chilenischen Wegs zum Sozialismus dar. Die Beziehungen zwischen Technologie, Politik und Kultur in der Konstruktion des Cybersyn reflektierten die Geschichte des sozialistischen Wandels im Chile der frühen 70er Jahre und unterschieden sich stark von den Ursprüngen des ARPANETS, dem Vorgänger des heutigen Internets. Das U.S. Verteidigungsministerium versuchte während des Kalten Krieges mit dem ARPANET ein dezentrales Kommunikationsnetzwerk aufzubauen. Im Cybersyn dagegen erleben wir das Zusammentreffen von Kulturen und Systemen in einer politisch prekären Zeit. Seine Gestaltung enthielt einige der ethischen, kulturellen und partizipatorischen Überlegungen, die das sozialistische Experiment Chiles charakterisierten. Am 11. September 1973 gerieten diese zwei diametral entgegengesetzten Netzwerk-Philosophien miteinander in Konflikt ...
Donnerstag 31.1., 13:00 h Panel 2:
Embedding Fear. The Internet And The Spectacle Of Heightened Alert
Moderator: Brian Holmes [us], Teilnehmer: Thorsten Schilling [de], Loretta Napoleoni [us], Naeem Mohaiemen [bd], Yassin Musharbash [de]
Der offene Charakter des Internets macht es nicht nur zum weltweit mächtigsten Werkzeug zur Erzeugung konspirativer Narrative, sondern befördert zugleich die Kreation der wohl größten internationalen Plattform für die Entwicklung und Verbreitung politischer, militärischer und unternehmerischer Propaganda. Jedes Individuum, jede Gruppe mit Zugang zum Netz – ob mit offizieller Legitimation, im Verborgenen oder mit betrügerischen Absichten agierend – kann mit jeder beliebigen realen oder fiktiven Aktion an die Öffentlichkeit treten. In Zeiten allgegenwärtigen Sicherheitsdenkens, einer Ökonomie der Angst und scheinbar ständig drohender terroristischer Attentate stellt sich die Frage nach der Rolle des Internets bei der Legitimation von derartigen gefühlten Bedrohungen. Welche Gefahren entstehen für Kultur und Identität, wenn die Freiheit von Zugang und Kommunikation in Konflikt mit einem unscharf definierten, doch allgegenwärtigen und zu großen Teilen online ausgefochtenen ‚war of terror’ gerät?
Freitag 1.2., 13:00 h Panel 3:
The Greying Of The Commons: IP, The Law And The Street
Moderator: Felix Stalder [au], Teilnehmer: Rasmus Fleischer [se], Eva Lichtenberger [at], Wolfgang Petters [de], Alan Toner [ie], Volker Grassmuck [de]
Wenn die Rede auf geistiges Eigentum kommt, öffnet sich in Europa und anderswo ein Graben zwischen regulärer Ordnung und der täglichen Praxis von Millionen von Menschen. Während neue Gesetze die formalen Eigentumsrechte gestärkt haben, hat sich die unauthorisierte Nutzung geschützter Inhalte weiter verbreitet. Unkontrolliertes Remixen, Veröffentlichen und Teilen von Material ist in der digitalen Massenkultur eine gängige Praxis. Bisherige Versuche, mit Hilfe von Gesetzen und/oder Technologie zu kontrollieren, was Leute mit digitalen Informationen anfangen, haben sich als ineffektiv erwiesen.Was die Kluft zwischen Rechtsvorschriften und Praxis anbelangt, wird die Situation sowohl mit der amerikanischen Prohibition (1920-1933) als auch mit aktuellen Taktiken im Kampf gegen (weiche) Drogen in Verbindung gebracht. Das Beispiel der Prohibition macht deutlich, dass die Rechtspraxis immer auch der Praxis gesellschaftlichen Handelns Rechnung tragen muss. Unterbleibt dagegen eine rechtspolitische Angleichung an sich verändernde soziale und gesellschaftliche Verhältnisse, schafft dies Raum für unterschiedliche Formen der Repression mit unabsehbaren sozialen Folgen.
Samstag 2.2., 13:00 h Panel 4:
Techno-Historical Collusions: The Making Of A Trojan Horse
Moderator: Florian Cramer [nl], Teilnehmer: Eva Horn [de], Trevor Paglen [us], Pierre Lagrange [fr], Konrad Becker [at]
Auf den ersten Blick scheint es keinerlei Verbindung zwischen der mysthischen Welt der Hexen und der Kabballah und den Hightech-Welten von Raumfahrtprogrammen und Daten-Trojanern zu geben. Aber sie alle mischen das Unerklärliche mit Politik und Technologie und verwenden die Fiktionalisierung von Informationen, um narrative Dispositive zu schaffen, die über die herkömmliche kulturelle Wahrnehmungspraxis hinausgehen. Die Erforschung des Alls konspiriert mit militärischen Interessen, welche wiederum eine Vielzahl von Vorgängen nach Art ‚Trojanischer Pferde’ im Bereich der Medien, Software und Informationsübermittlung entfesseln und in Bewegung setzen. Wo durch unsichtbare Mechanismen gesteuerte Ereignisse die Realität dominieren, resultieren unklare Deutungen, die Bereitschaft zum Glauben an Spekulationen und eine Verschleierung von Ursachen und Motiven. Besteht die Herausforderung darin, sich dem Unerklärlichen nicht länger über Theorien, sondern durch die unmittelbare Wahrnehmung anzunähern?
Sonntag 3.2., 13:00 h Panel 5:
Web 3.0: Conspiring To Keep The Net Public
Moderator: Olga Goriunova [ru], Teilnehmer: Seda Gürses [de], Fran Ilich [mx], Felipe Fonseca [br], Michelle Teran [ca], Simon Yuill [uk]
Das Web 2.0 wurde als Paradies des freien Zugangs angekündigt, als Nutzer-freundliche Community und Browser Plattform. Obwohl viele darin eine Verbesserung sehen – daher das Kürzel 2.0 – ist diese Veränderung in erster Linie eine Form von Abschottung des Internets, wo Nutzerdaten und kreatives Eigentum zu einer Art Handelsware geworden sind. Die wahre Rede- und Bewegungsfreiheit laufen Gefahr, sich immer mehr mit der Welt von Kommerz und Geschäft zu vermischen. Dies befördert Spekulationen wie beispielsweise die, wer Rechte und Identitäten der Netz-User kontrolliert. Welche alternativen Modelle und Strategien sind denkbar, um in dieser quasi privaten Struktur einen öffentlichen Bereich aufrecht zu erhalten und letztlich das Internet davor zu bewahren, zum Opfer seiner eigenen konspirativen Tendenzen zu werden?
Weitere Informationen unter www.transmediale.de