Lesung
Willie Perdomo
Downtown, Uptown, Crosstown - Literatur aus New York
In englischer Sprache
Zehn Protagonisten der Literaturszene New Yorks lesen im Haus der Kulturen der Welt: berühmte Stimmen und Newcomer, Romanautoren und Lyrikerinnen. Vielstimmigkeit in jeder Hinsicht - diese Autoren eröffnen Einblicke in die Vielfalt der kulturellen, ethnischen und sozialen Zugehörigkeiten, die das Zusammenleben in New York ausmachen. Sie erzählen von Lebenswelten zwischen den Kulturen, von Erfahrungen am Rande der Gesellschaft und suchen nach Formen, um die Komplexität unserer globalisierten Gegenwart zu fassen.
Willie Perdomo ist einer der wichtigen Spoken Word Poets, die das Nuyorican Poets Café, der literarische Treffpunkt in der Lower East Side, hervorgebracht hat. Seine Gedichte sind nüchterne Bestandsaufnahmen des Straßenlebens mit einem hochliterarischen Subtext. Angst und Liebe, Zorn und Zärtlichkeit, Gedichte und Prosa durchdringen sich. Mit Einsprengseln von Salsa und Hip-Hop, Black Spanglish, Song- und Werbezeilen erzählen seine Texte von Propheten, Heiligen, Dichtern, Betrügern, Junkies und Basketball-Stars.
Moderation: Nora Gomringer (Lyrikerin und Spoken Word Poetin)
Über Willie Perdomo
Willie Perdomo wuchs in East Harlem auf, nur einige Blocks entfernt vom Haus des legendären afroamerikanischen Schriftstellers Langston Hughes, der Perdomo nachhaltig prägte. Mit seinem von der Kritik gefeierten Debüt Where a Nickel Costs a Dime (1996) schaffte Perdomo als einer von wenigen den Schritt von der Bühne des Nuyorican Poets Cafe zum Buch. Für seinen zweiten Gedichtband Smoking Lovely (2003) erhielt der Autor den PEN American Beyond Margins Award. Seine Gedichte wurden in verschiedenen Anthologien publiziert, unter anderem in Poems of New York, The Harlem Reader und Metropolis Found, wie auch in The New York Times Magazine und Bomb. Perdomo ist leitender Redakteur bei Cypher Books und unterrichtet am Friends Seminar und der Bronx Academy of Letters.
Appetizer
Von wo ich komme
"Weil ihr die „Sorte Musik“, die ich hörte, gefiel und ihr auch gefiel, wie ich ging und wie ich redete, wollte sie immer wissen, von wo ich komme.
Wenn ich ihr erzählen würde, dass ich von der Ecke 110th Street und Lexington Avenue komme, mitten im Herzen einer aus Puerto Rico hierher versetzten Stadt, in der die „hodedores“ leben und die Nacht sich ohne Schlaf zum Tag verwandelt, meinst du, sie wüsste dann, von wo ich komme?
Dort, von wo ich komme, bleibt uns Puerto Rico im Gedächtnis, sobald bei Sonnenaufgang eine frische Brise café con leche y pan con mantequilla durchs halb offene Fenster und über die Türschwelle weht.
Dort, von wo ich komme, schlafen die Babys zum Gebell eines Schäferhundes namens Tarzan ein. Wir hören ihn unter der Mitternachtssonne hin und her tappen. Tarzan hat schnell gelernt, nicht weiter auf die Frau zu achten, die ihren Mann anfleht, ihr nicht mit der geballten Faust ins Gesicht zu schlagen. „Liebster, bitte! Por favor! Ich war’s nicht, ich schwör’s. Ich schwör’s bei meiner Mutter. Mammiii!“ (Ihre tote Mutter hatte es gleich so kommen sehen.)
Dort, von wo ich komme, wird jeden Tag Independence Day gefeiert. Dem letzten Schuss des Mords von gestern folgt das amtliche Klopfen des Einsatzkommandos, das dir das Brot, den Kaffee und die Freiheit raubt.
Dort, von wo ich komme, betritt die Polizei dein Haus ohne erst anzuklopfen. Sie werfen uns vom Hausdach und behaupten, wir seien ausgerutscht. Sie knallen meinen Vater ab und behaupten, er sei durchgedreht. Sie jagen mir eine Kugel in den Kopf und behaupten, sie hätten mich schon so aufgefunden.
Dort, von wo ich komme, rennst du in die Notaufnahme des Krankenhauses, weil irgendsoein Steppke eine Rasierklinge ausgespuckt und dir damit einen Halbmond ins Gesicht geschnitten hat. Du musst jedoch wissen, dass dort, von wo ich komme, selbst die Toten warten müssen, bis ihre Nummer aufgerufen wird.
Dort, von wo ich komme, kannst du Big Daddy zuhören, wie er an der Ecke zum xten Mal seine Stories erzählt. Er reicht eine Halbliterflasche Bacardi light weiter, kippt seinen Gruß an den Toten auf die Straße. „Ich halt dir ne Knarre an die Birne und bin Gott. Ich bin der Richter, dein Prozess läuft in meinem Gerichtssaal.“
Dort, von wo ich komme, ist es das Scharren der Rattenkrallen spät in der Nacht, das meine Mutter meint, wenn sie bedächtig sagt: „Bueno, mijo, eso es la vida del pobre.“ (Tja, mein Junge, so ist das Leben der armen Leute.)
Dort, von wo ich komme, ist es süß, zum Beispiel wenn meine Großmutter rasch ein Gebet über einem Topf mit heißem Reis und Bohnen spricht. Dort, von wo ich komme, ist es schön, zum Beispiel wenn meine Nichte sich mitten auf der Straße vor mich hinstellt und zu mir sagt, ich soll mir nur mal alle die Sterne da oben am Himmel anschauen."
Aus: Willie Perdomo: Where a Nickel Costs a Dime. W. W. Norton & Co., New York/London 1996, S.17.
Aus dem Englischen von Gerd Burger.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem internationalen literaturfestival berlin