Zwischen den Zeilen
Mit Fehras Publishing Practices, Hamid Ismailov und Morad Montazami
Die Zirkulation von Ideen, Kunstwerken und Büchern im Schienennetz der Osmanischen Eisenbahn inspirierte im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts Paradigmenwechsel in literarischen Vorstellungswelten und künstlerischer Praxis. Die Bahnhöfe selbst, aber auch Fragmente künstlerischer Erfahrungen und zwischenmenschliche Begegnungen – in Damaskus, Bagdad, Berlin, Gilas, Mekka, Moskau und Paris – verweisen auf die Folgen dieser Transformationen, entstanden aus der Vernetzung und aus gemeinsamen ästhetischen Ökosystemen.
Fehras Publishing Practices
Waiting Trajectory
Lecture Performance
Der Vertrieb und die Zirkulation von Publikationen entlang der Route der Hedjaz-Bahn lässt sich im 1907 erbauten Bahnhof von Damaskus heute noch nachverfolgen. Der Bahnhof blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg in Betrieb, als der Ausbau der Strecke eingestellt wurde, bis er in den letzten Jahren zu einer Bibliothek und einem Museum für Bücher umfunktioniert wurde. Durch diese Veränderungen und Bedeutungsverschiebung entstand ein mobiler Wissensraum. Die Umgestaltung des Bahnhofs wirkte sich auch auf die unmittelbare Umgebung aus: Buch- und Papiergeschäfte, Verlage und Druckereien ließen sich in den Seitenstraßen nieder. Heute erzählt die Gegend die Geschichte des modernen Publizierens in der Region und der Mechanismen der Verbreitung von Büchern: wie sie auftauchen und wieder verschwinden.
Morad Montazami
Railway Stories of the Betrayed Avant-Garde
Vortrag
Wie können wir über das objektive Terrain der Berlin-Bagdad- und Hedjaz-Bahn hinausschauen, um sie als Labyrinth subjektiver Perspektiven zu sehen? Ein Labyrinth, das sich von Fotografie, Literatur und Malerei inspirieren lässt, das in Erfahrungen und Begegnungen gründet, die Bagdad, Berlin, Damaskus, Paris und Mekka miteinander verbinden. Die Bahn lässt Raum für die Frage nach den physischen Spuren, die irakische Fotograf*innen wie Latif Al Ani ebenso hinterließen wie die Künstler und Architekten Mohammed Makiya und Jewad Selim, Zeitgenossen und persönliche Bekannte der Architekten Walter Gropius und Frank Lloyd Wright. Fotografie und Architektur als Strategien zur Rückeroberung der fiktionalen Räume der Eisenbahn bilden hier ein zentrales Paradigma für Reiseberichte von Künstler*innen, für Kulturtransfer und urbane Träume.
Hamid Ismailov
From the Railway to the www.
Vortrag
Die Paradigmenwechsel in der Literatur verlaufen parallel zum Wandel realer und virtueller Netzwerke. Das Maschinenzeitalter – die Eisenzeit – wird von der Ära der Software und Gadgets abgelöst. Literarische Strukturen spiegeln diese tektonische Verschiebung in der Geschichte der Menschheit. Die Matrix verdrängt das lineare Denken: Netze überlagern sich, wenn Geflüchtete, geleitet von den Kartendiensten ihrer Smartphones, unterwegs auf der Balkanroute nach Westeuropa den Bahngleisen folgen. Nicht anders scheint es zu sein bei jenen, die aus den zentralasiatischen Republiken den Weg nach Russland suchen. Literarische Beispiele aus Regionen, die sowohl Teil des Osmanischen Reiches waren als auch unter russischer Herrschaft standen, demonstrieren diesen Wandel der Netze.
Teil von After the Wildly Improbable kuratiert von Adania Shibli