Interventionen

Jan St. Werner | DAF (Dynamische Akustische Forschung)

Jan St. Werner: Difficult Diffusion #1: HKW & Carillon
Carillon und Haupteingang

Auch Albert Einstein hatte nicht immer Recht. Das bewiesen zumindest rund 100.000 Menschen, die sich im November 2016 an Smartphones und Rechnern mit einem Online-Spiel die Zeit vertrieben, selbstverständlich als Teil eines wissenschaftlichen Experiments. Dessen zwei Jahre später publiziertes Ergebnis widersprach Einstein, der dem Prinzip der Quantenverschränkung partout keinen Glauben schenken wollte: der Tatsache, dass die Eigenschaften von zwei weit voneinander entfernten Teilchen voneinander abhängen könnten. Mit dem sogenannten Big Bell Test wurde jedoch bewiesen, dass das von Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ titulierte Phänomen durchaus auftritt.

Jan St. Werner lässt die Besucher*innen von The Sound of Distance eben jenes Phänomen der Verschränkung nun selbst erleben, mehrmals am Tag für jeweils einige Minuten. Das Carillon des Glockenturms im Tiergarten und ein an der Fassade des HKW-Gebäudes angebrachter Lautsprecher werden in perfekter Gleichzeitigkeit Klänge abspielen, deren Frequenzspektrum, Hüllkurven und Intensität genau aufeinander abgestimmt sind, wie zwei identische, Klang gewordene Teilchen, die voneinander abhängen. Die Verschränkung der beiden Klangquellen erlaubt es dem Publikum, die „spukhafte Fernwirkung“, mit all den Überlagerungs-, Verstärkungs- oder Auslöschungseffekten, die sich je nach dem eigenen Standort ergeben, nah am lebendigen Leib zu erfahren. Und später mit dem guten Gefühl nach Hause zu gehen, einen großen Theoretiker in der Praxis widerlegt zu haben.

DAF (Dynamische Akustische Forschung): Sonic Synchronicity
Im ganzen Haus

Hinter dem Akronym DAF verbirgt sich die Dynamische Akustische Forschung, ein von Jan St. Werner und Michael Akstaller lanciertes Projekt mit wechselnder Mitgliederanzahl, das Klangkunst nicht starr und statisch als Skulptur versteht, sondern einer sozialen, materiellen und energetischen Praxis nachgeht. In seiner Arbeit Sonic Synchronicity lehnt sich das Kollektiv an Maryanne Amachers Sound-Art-Serie City Links an, für welche die US-amerikanische Künstlerin die Soundscapes von weit entfernten Orten in Echtzeit in Galerien übertrug. DAF werden indes auch diesen Ansatz dynamisieren: Mit Mikrofonen ausgestattete Protagonist*innen bewegen sich durch und um das HKW; die von ihnen übertragenen Signale werden von anderen Kollektivmitgliedern gemischt und als Mehrkanalinstallation immer wieder an unerwarteter Stelle, zu nicht festgelegter Zeit intervenieren.

So finden nicht etwa die Klänge sehr spezifischer Orte an einem anderen zusammen, sondern es werden sowohl Input wie auch Output in ständige Bewegung gebracht und die Resultate in dynamischer Weise immer neu erfahrbar. Der in Pandemiezeiten stark reglementierte Stadtraum wird durch die DAF-Aktivitäten fluide und erlaubt gleichermaßen die Dokumentation wie die kollektive Interpretation der individuell erfahrenen Klangkulisse von Architektur. Angetrieben wird das Projekt deshalb nicht nur von ästhetischen Ideen, sondern genauso von der Frage, wie sich spielerisch neue Formen des Miteinanders gestalten lassen.