Nervöse Systeme
Quantifiziertes Leben und die soziale Frage
Nervöse Systeme ist eine Ausstellung über die Veränderungen unseres Verständnisses und unserer Erfahrungen des „Selbst“ und des „Sozialen“. Sie nimmt in den Blick, wie wir zunehmend Teil umfassender technologischer Netzwerke und Infrastrukturen werden und wie abstrakte Gesetze des Marktes und des Finanzkapitalismus sich dabei in subjektive Erfahrung und verkörpertes Handeln übersetzen. Gleichzeitig wirft sie die Frage auf, wie die ungeheuren Mengen an Daten über menschliches Verhalten dieses Verhalten selbst beeinflussen und verändern. In permanente Alarmbereitschaft versetzte Staaten und deregulierte Institutionen hängen heute zunehmend der Fantasie an, dass sich allein mit ausreichend Informationen die Wirtschaftssteuern und Profite erhöhen lassen sowie allgemein Bedrohungen, Katastrophen und Störungen vorher gesagt und kontrolliert werden können. Dieses neue Vertrauen in technologische Lösungen, getragen von Datenanalyse, Reality-Mining, Mustererkennung und Vorhersagen, beherrscht zunehmend alle Aspekte der zeitgenössischen Gesellschaft und ersetzt politische und hermeneutische Prozesse.
Das Konzept des „Nervensystems“ ist heute zu einem Leitmotiv der angestrebten Verschränkung von Leben und Technologie, von Organischem und Maschine geworden. So sprechen heute die großen Konzerne unermüdlich von „intelligenten Nerven“ und „synaptischen Echtzeitverbindungen“ als Lösungs- und Steuermechanismen für fast alles, von der Regierungsarbeit und Wirtschaft bis hin zu Natur und Umwelt.
In der Ausstellung wird dieser Begriff von „Nervosität“ gewendet – und zwar auf jene Nervosität, die die heutigen Systeme und datengesteuerten Rationalitäten und Ideologien selbst heimsucht. Visuelle, historische und Materialien aus der Praxis von Künstlerinnen und Technologen, Theoretikerinnen und Aktivisten beleuchten das Entstehen spezifischer Ideen von Herrschaft, Macht und Kontrolle in den vergangenen 100 Jahren. Wie haben historische Konzepte die Formation unserer neuen Datenökonomien beeinflusst? Vor diesem Hintergrund und im Kontext des zeitgenössischen Kapitalismus muss das, was einmal die „soziale Frage“ genannt wurde – die Beziehung zwischen Individuen, Gesellschaft und Staat –, neu gestellt werden.
Anselm Franke, Stephanie Hankey & Marek Tuszynski