Global Prayers. Erlösung und Befreiung in den Megastädten der Welt

Global Prayers. Erlösung und Befreiung in den Megastädten der Welt

ein transnationales Forschungsprojekt von metroZones e.V.


"Wenn Gott in den Städten der industriellen Revolution starb, so ist er in den postindustriellen Städten der Dritten Welt wieder auferstanden", schreibt der Stadtforscher Mike Davis in seinem Essay Planet of Slums: Heutzutage besetzten "der populistische Islam und das pfingstliche Christentum (und in Bombay der Shivaji-Kult) einen sozialen Raum analog zu dem des Sozialismus und Anarchismus des frühen zwanzigsten Jahrhunderts". Mit der Mobilisierung des Religiösen in den städtischen Räumen der Megametropolen – in Gestalt von Islamisierung, Hindu-Nationalismus, Pfingstkirchen und Evangelikalen – geht zugleich eine Ethnisierung urbaner Konflikte einher. Diese Renaissance religiöser und ethnischer "Identitäten" und Bewegungen - die heute zu den wichtigsten Akteuren gerade in der Organisierung der städtischen Armen zählen - lässt sich womöglich als eine Art urbane "Kulturrevolution" beschreiben: Wo früher säkulare politische Bewegungen ein besseres Leben versprachen, scheint heute das Versprechen auf spirituelles Heil zu stehen.

Das multidisziplinäre Projekt "Global Prayers" will die neuen urbanen Kirchen und den damit einhergehenden Wandel der Heilsversprechen untersuchen: Wie ist ihre wachsende Popularität nicht nur in den Armutsvierteln sondern auch unter den urbanen und aufstiegsorientierten Mittelschichten zu erklären? Handelt es sich primär um eine weltumspannende Reaktion auf Krisen, materielle Nöte und Marginalisierung in Folge wirtschaftsliberaler Politik? Oder ist der Boom der Glaubensgemeinschaften eher das Produkt von kultureller Fragmentierung, befördert von Migration und "entfremdender" Globalisierung, von Atomisierung des städtischen Alltags? Füllen die oftmals transnational aufgestellten kirchlichen Organisationen als Global Prayers ein Macht- und emotionales Vakuum, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Erlösung und Befreiung, das andere Institutionen und gesellschaftliche Kräfte hinterlassen haben? Sind sie nur als rückwärtsgewandte Kräfte zu verstehen, die Ängste und Wut großer Bevölkerungsteile instrumentalisieren oder können sie auch als Ausdruck einer widerständigen Gesellschaftlichkeit gelesen werden, die zwischen den Polen forcierter Modernisierung und Armut zerrieben wird? Und löst der Aufstieg religiöser Organisationen tatsächlich säkulare Urban Movements ab oder waren nicht diese – Stichwort Befreiungskirchen – häufig ebenso eng an religiöse Logiken und Strukturen gekoppelt? Schließlich: Bedeutet der Niedergang traditioneller Stadtbewegungen auch das Ende emanzipativer politischer Kräfte in den Städten – oder beinhalten die ethnisch-religiösen Organisationsformen lediglich ein anderes Verständnis von Emanzipation, Befreiung und Erlösung?

Diesen Fragen soll anhand ausgewählter Fallstudien und transnationaler Verknüpfungen nachgegangen werden: dichte Beschreibungen in Bild und Text der Aktivitäten, Strategien und Sinnproduktionen religiöser Akteure und Gemeinschaften in Metropolen des globalen Südens wie Lagos, Mumbai, Rio de Janeiro oder Kinshasa – aber auch in westlichen Megastädten wie London oder Los Angeles, deren Einwandererquartiere im Zuge postkolonialer Diasporas und Migrationsbewegungen re-missioniert werden.


metroZones – Zentrum für städtische Angelegenheiten“ hat sich 2007 als unabhängiger Verein gegründet, um an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Politik verschiedene Ansätze der Forschung, Wissensproduktion, Kulturpraxen und politischen Interventionen zu kombinieren und öffentlich zu thematisieren. Dabei setzen wir auf internationale, interdisziplinäre und institutionelle Kooperationen. Die Expertise von metroZones speist sich aus der langjährigen, disziplinär und regional verzweigten Arbeitserfahrung seiner Mitglieder in Forschung, Kultur, Medien und städtischer Politik: Jochen Becker (Kurator und Kritiker, u.a. Lagos/Teheran), Britta Grell (Politologin, Los Angeles/ Chicago/New York), Anne Huffschmid (Kulturwissenschaftlerin und Autorin, u.a. Mexiko-Stadt/ Buenos Aires), Stephan Lanz (Stadtforscher und Kurator, u.a. Rio de Janeiro/Istanbul/Berlin), Oliver Pohlisch (Kulturwissenschaftler und Journalist, u.a. London), Katja Reichard (Künstlerin und Inhaberin des Buchladens pro qm, Berlin), Erwin Riedmann (Soziologe, Berlin), Kathrin Wildner (Stadtethnologin und Kuratorin, u.a. Mexiko-Stadt/Istanbul).