Shteyngart

Gary Shteyngart

Drüben


Kaum verlasse ich Amerika, wollen mich die Leute umbringen.

In Baku, der Hauptstadt von Aserbeidschan, packen mich zwei Polizisten in der U-Bahn am Kragen und schmeißen mich auf den Boden, weil sie mich für einen Terroristen aus dem Iran halten. „Ich bin bloß ein in der Sowjetunion geborener Jude mit etwas dunklem Teint“, erkläre ich und halte ihnen zum Beweis dieser Aussage mein pralles Portemonnaie unter die Nase. „Ein Jude“, wispern sie ehrfurchtsvoll und befingern mit großen Augen mein dickes Bündel Geldscheine.


In Berlin hält mich ein Grüppchen zorniger junger Kneipenhelden für einen Computerprogrammierer aus Indien. Schon folgen sie mir durch die ganze Kneipe und skandieren „Kinder statt Inder“, als wäre ich ein Einwanderer aus Fernost und wollte mich auf Kosten des spendablen deutschen Staats in die soziale Hängematte legen. Vielleicht sollte ich mein dickes jüdisches Portemonnaie zücken, um ihren Zorn zu besänftigen.In einem Städtchen in Tschechien werde ich irrtümlich von einer Schlägerbande lokaler Skinheads in einer passenderweise „Weiße Rose“ genannten Disco für einen „Araber“ gehalten. Schon macht man Anstalten, mich zu massakrieren, da zücke ich meine American Express Card und stelle ein für allemal klar, dass ich tatsächlich Amerikaner bin und nicht etwa eine Art Megatürke.


Kaum reise ich aus den USA in andere Länder, betrachten mich die Leute als Verkörperung ihrer schlimmsten Ängste, weshalb sie mir ruckzuck körperliche Gewalt antun wollen. Ich habe einen ansatzweise olivfarbenen Teint, das stimmt, der je nach Jahreszeit mal mehr, mal weniger olivenfarben ausfällt, dazu trage ich einen Ziegenbart so schwarz wie der Nachthimmel über Montana (oder der Serengeti), außerdem habe ich dunkle, verdächtig aussehende Augen, die ich neugierig auf die Welt richte. In vielen nördlichen Gefilden dieser Welt bin ich allzu dunkelhäutig, südlich von Sizilien dafür nicht annähernd dunkelhäutig genug.Deshalb hat Amerika – bzw. New York, um es präzise zu sagen – für mich immer Sicherheit dank Heterogenität bedeutet. Kaum kippt das Flugzeug im Landeanflug auf den Kennedy Airport die Tragflächen schräg in die Kurve, bin ich vor Freude schier außer mir, ja den Tränen nahe, denn ich weiß, dass ich schon bald ohne Angst durch die Straßen spazieren und mit Wohlgefallen die hübschen jungen Bürger und Bürgerinnen ringsum beäugen kann, ohne dass ich fahrig umherblicken muss auf der Suche nach dem nächsten Angreifer. Erst vor zwei Jahren wurde ich von einem Verrückten durch die Straßen einer bestimmten ausländischen Hauptstadt gehetzt, der mich mit einer Machete verstümmeln wollte. Oh, wie ich mich da nach dem sicheren Hafen des East Village sehnte, als ich an langen Schlangen laut hupender Autos im Berufsverkehr vorbeirannte, um mich vor der brutalen Attacke zu retten. Endlich in Sicherheit, dachte ich, als mich das Taxi nach meiner Rückkehr nach New York vor meinem Apartment in Downtown Manhattan absetzte. Und doch stand ich unversehens keinen Monat danach bei mir auf dem Dach und sah zu, wie rund zwanzig Queerstraßen entfernt das World Trade Center in sich zusammensank. Zwei Tage später fragte sich der Besitzer einer Bar in Manhattan in vernehmlicher Lautstärke, ob ich wohl ein Mitglied der El Kaida sei (nein) und ihn in die Luft sprengen wollte (ja). „Sie gefallen mir nicht“, sagte er. „Sie sehen komisch aus.“ Soviel zum Thema Sicherheit dank Heterogenität.


Trotz der Ereignisse vom 11. September werde ich in den USA spürbar weniger verachtet als irgendwo anders auf der Welt. Es mag ja ein Klischee sein, wenn man feststellt, dass die Vielfältigkeit in den Straßen Nordamerikas der größte Vorzug des Landes ist. New York und Los Angeles, so furchtbar unvollkommen sie auch sein mögen, sind immer noch die wahrhaft multikulturellen Städte des Globus, wohingegen Käffer wie Berlin und Rom, nun, na ja, eben sehr deutsch bzw. sehr italienisch wirken. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kehre Amerika den Rücken, so oft ich nur kann (um die Wahrheit zu sagen, schreibe ich diese Zeilen in der vergleichsweise verlässlichen Sicherheit eines im vierzehnten Jahrhundert erbauten Wachturms in den Hügeln der Toskana). Die messianisch geprägte Mission der fundamentalistischen Bush-Regierung, überhaupt die fundamentalistischen Neigungen unserer messianisch geprägten Bevölkerung, die klammheimliche Verschmelzung von Kirche und Staat lässt für Agnostiker wie mich nur wenig Raum außerhalb einiger Postleitzahlbezirke an der Ostküste und der Westküste. Und von Multikulti einmal abgesehen, ist mir Joschka Fischer allemal lieber als Colin Powell. Und doch mache ich mir Sorgen, sobald ich fremden Boden außerhalb der USA betrete, wo schon der Mann bei der Passkontrolle solche unbändige Lust verspürt, mir in die Augen zu spucken, mir außerdem die kontinentale Sonne den Teint um einen Hauch zu olivfarben tönt.Ich will leben, bitteschön ...


Der Text wurde erstmal veröffentlicht in Granta 84, Januar 2004.

Deutsche Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und Granta.