André Lepecki: nomadisches New York - kleines New York. Eine Erläuterung.
nomadisches new york - kleines new york. Eine Erläuterung.
Beginnen wir mit einem Klischee: "New York steht niemals still." Wir kennen diesen Ausdruck nur zu gut. Dass er uns so vertraut ist, sagt viel über die Art, wie New York seit über einem Jahrhundert weltweit als Inbegriff der "Erfolgsgeschichte" der kapitalistischen, westlichen Moderne und in letzter Zeit auch als Prototyp ihrer neoliberalen, postmodernen und postindustriellen Abwandlungen dargestellt wird.
Selbst als die Stadt vor ein paar Jahren einen Tag lang still stand, selbst als sie stehen bleiben musste angesichts von Tod und Trauer, schien es, als hätte sie durch den Schock nur noch mehr Wucht und Schwungmasse angesammelt, Tempo, noch mehr Tempo, aber sofort! Ein ruhiger Tag, ein schrecklicher Tag... dann raste New York weiter zu den vor ihm liegenden Tagen, dann marschierte New York noch besessener zu seinem eigenen erregten Takt: zur Forderung, immer in Bewegung zu bleiben und um jeden Preis dem eigenen Markenzeichen der rastlosen, schlaflosen, hyperaktiven und pausenlos rennenden Stadt zu entsprechen.
Doch jenseits dieser zur Schau gestellten Mobilisierung ohne Ende, jenseits des demonstrativ hektischen Konsums, der teleskopischen Kapitalflüsse und des manischen Hin und Her zwischen Markteuphorien und Marktdysphorien gibt es viele andere Möglichkeiten, in New York zu leben und andere Bewegungen zu schaffen - andere Arten, das Leben zu vollführen, in denen ein anderes New York der kleineren Städte und Lebenskreise zu Tage tritt.
Das sind unauffällige Formen von Bewegung. Sie bieten andere Tempi und Pausen an, andere Ziele, Schwingungen, Rhythmen, Affekte, Wirkungen und Empfindungsweisen, andere Aktions- und Darstellungsweisen. Sie nehmen das Flüchtige, Unsichtbare auf, subtile Bewegungen, Bewegungen in Gedanken, Bewegungen der Bilder, Bewegungen der Töne, der Worte, der Migranten, der Einwanderer, der Körper, der Politiken, der Gesetze, der Bilder, der Klänge. Andere Bewegungen von Begriffen und andere Begriffe von Bewegungen, die bei der Schaffung "kleiner" Städte im Inneren von New York mitwirken - von Städten, die jenseits des beschriebenen Klischees leben. Diese anderen Städte sind von Natur aus nomadisch. Sie sind bestimmt von Strömen und Kräften, nicht von Straßen und Beton. Ihr Entstehen und Verschwinden hat unweigerlich den Charakter einer politischen Aktion, und es bezieht notwendig vorübergehende Kollektive mit ein. Klein, wie sie sind, bevölkern diese Städte unweigerlich Randzonen und schaffen andere Zeitfenster, während sie sich zugleich aller "großen" Ressourcen und Klischees und Antriebsenergien aus der Stadt bedienen.
Wer in dieser "kleinen" Form künstlerisch arbeitet, dessen Dasein als Bürger gerät selbst zu einem nomadischen Projekt. Es gilt dann, große Entfernungen zwischen Kulturen, Sprachen, Dialekten, Ethnien und Geschmäckern zu überwinden, selbst wenn man sich dabei nicht aus der Stadtmitte entfernt. Oder man wird zum Auswanderer, der zwar nicht länger physisch in der Stadt lebt, aber immer wieder zu ihr zurückkehrt, sich in ihr wiedererlebt, sie erweitert, neu erfindet, neu dimensioniert. Wahre Nomaden sind es, die New York zu ihrem Boden und immer fruchtbaren Lebensraum machen.
nomadisches new york also. Ganz einfach. Ohne Großbuchstaben.
André Lepecki