Detlef Diederichsen: Zum Musikprogramm New York

Musikprogramm New York


1) Grundidee

Grundidee des Musikprogramms ist es, New York als Hauptstadt der Musikindustrie zu zeigen. Die Umstände, unter denen Musik produziert wird, bestimmen, welche Musik produziert wird. Die Gründung einer industriellen Musikverwertungsmaschinerie mit Zentrum New York hat die Welt der Musik womöglich mehr umgewälzt, als irgendetwas jemals zuvor. Damit wird auch die Gefahr vermieden, die üblichen Klischees und Assoziationsketten zu bedienen, die unweigerlich auftauchen, sobald von New York die Rede ist (Lou Reed, Laurie Anderson, CBGB’s, Schmelztiegel, „New York, New York“ …). Das Haus bezieht damit Stellung zur komplexen Frage der kulturellen Produktion unter wirtschaftlichen Auswertungszwängen. Das Programm ist durch diesen Ansatz voller Überraschungen und Unerwartetem.


2) Programm

2.1 Im Detail besteht das Programm aus drei Teilen, die bestimmten Orten innerhalb New Yorks zugeordnet sind: Broadway, Greenwich Village und El Barrio. Dazu kommen die APW-Konzerte.2.1. Der Broadway ist die Mutter der Musikindustrie und Vater der Popmusik (falls das biologisch möglich ist). Das HKW will nun wissen, welche Bedeutung die viel gerühmten Klassiker der goldenen Broadway-Ära heute noch haben. Es fragt nach in drei ganz unterschiedlichen Ecken: bei einem New Yorker Sängerveteranen (Jimmy Scott interpretiert das „Great American Songbook“ seit sechs Jahrzehnten), einem experimentellem Jazz-Duo (Roswell Rudd und Duck Baker arbeiten die musikalische Tiefe und Qualität von Broadway-Kompositionen heraus und kümmern sich dabei vor allem um weitgehend unbekannte Titel), einer Popsängerin mit Blues-Neigung (Maria Muldaur sang schon auf ihren Hitalben der siebziger Jahre Broadway-Material) -– und in Berlin (Masha Qrella präsentiert Musical-Kompositionen von Kurt Weill und Frederick Loewe). Bewusst wird auch hier das Klischee vermieden: Es wird kein Show- und Tanzprogramm geben, Max Raabe wird nicht Fred Astaire imitieren, Songs von Andrew Lloyd Webber haben Hausverbot.


2.2 Folk war die logische Reaktion auf die Dominanz der fabrizierten Pop- und Showmusik. Ab Anfang der fünfziger Jahre suchten junge Musiker und Musikenthusiasten zunehmend verzweifelt nach Wurzeln und Traditionen und wurden sie nicht fündig, dachten sie sich welche aus. Das alles fand im Greenwich Village statt – und tut es heute noch. Selten konnte sich eine Musikszene so konstant mit den selben Inhalten und Anliegen über so lange Zeit und mehrere Generationen an einem Ort etablieren. Wir bringen alte Legenden wie David Peel und Eric Andersen mit den vom Punk-Spirit infizierten Folkies von heute wie Ish Marquez und Prewar Yardsale zusammen und zwar buchstäblich.


2.3 Schließlich zeigen wir der staunenden Öffentlichkeit, dass das Weltzentrum der spanischsprachigen Musik ebenfalls New York heißt. Hier wurden Salsa, Boogaloo und Reggaeton kreiert und vieles mehr. Nachdem Luisito Quintero am Eröffnungsdonnerstag das Territorium markiert hat, folgt einen Tag später mit dem Spanish Harlem Orchestra eine echte Salsa-Supergruppe. Das selbe kann man auch über die Grupo Folklorico Y Experimental Nuevayorquino sagen, eine der legendärsten Latin-Formationen überhaupt, die sich extra für diesen Anlass nach rund dreißig Jahren Pause wieder zusammenfindet. Ein ganz anderes Publikum wird ins Haus strömen, wenn Tony Touch den aktuellen Stand der Reggaeton-Szene vorführt. So jung kommt das HKW nicht mehr zusammen. Dazu kommen noch ein Latin-Soul-Programm mit dem unvergleichlichen Joe Bataan, und ein Bomba-y-Plena-Abend mit Los Pleneros de la 21.


2.4. Auch im APW-Programmsegment geht es um New York, aber nein, wir präsentieren keine in New York lebenden Asiaten oder umgekehrt, sondern asiatische Musiker, deren Inspiration New York ist, die sich nach New York träumen, indem sie sich dem am stärksten mit New York assoziierten Jazz-Stil widmen, dem Bebop. Einer von ihnen ist der unendlich vielseitige japanische Pianist und Komponist Koji Ueno, der mit einer spektakulären Big Band auftreten wird, ein anderer der bekannteste Jazzmusiker Indonesien, Indra Lesmana. Dazu kommt noch die Gruppe Du Yinjao, die zeigt, dass auch China vom Sound des Birdland infiziert wurde.

Detlef Diederichsen