Will Amerika immer noch ein starkes Europa?

Will Amerika immer noch ein starkes Europa?

Die USA haben ein vitales Interesse an einer EU, mit der sie weltweit gemeinsam agieren können


Daniel Hamilton

24.03.2007


Atlantische Partnerschaft und die europäische Einigung – das waren zwei Seiten einer Medaille. So zumindest sah es die Gründergeneration politischer Führer der Nachkriegszeit, in Europa wie in den Vereinigten Staaten. „Wir begrüßen die Bemühungen einer Reihe europäischer Freunde, eine integrierte Gemeinschaft aufzubauen, die sich zu einem gemeinsamen Markt entwickeln soll“, sagte Präsident Dwight D. Eisenhower 1957, kurz vor der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Präsident John F. Kennedys Worte fünf Jahre später klingen wie ein Echo dieser Aussage: „Die Vereinigten Staaten schauen mit Hoffnung und Bewunderung auf dieses enorme neue Vorhaben. Ein starkes und geeintes Europa betrachten wir nicht als Rivalen, sondern als Partner. Seinen Fortschritt zu unterstützen, war ein Kernziel unserer Außenpolitik


Fünf Jahrzehnte später ist die EU zur wichtigsten Organisation geworden, der die Vereinigten Staaten nicht angehören. Viele Europäer fragen sich, ob die USA eigentlich immer noch ein starkes Europa wollen. Im Jahr 2003 lieferte der damalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die perfekte Karikatur dieser Sorgen, als er im Grunde verkündete, er liebe Europa so sehr, dass er sich über die Existenz zweier Europas freue – eines alten und eines neuen.


Die amerikanische Ambivalenz angesichts des europäischen Projekts begann aber viel früher, mit Charles de Gaulle, der entschlossen war, ein Europa frei vom amerikanischen Einfluss zu schaffen. Als Reaktion hat sich ein festes Muster entwickelt: Amerikanische Politiker bringen routinemäßig ihre Unterstützung für ein enger zusammengeschlossenes Europa zum Ausdruck, aber wenn Europa sich anschickt, eine wirklich gemeinsame Politik zu entwickeln, trifft es auf amerikanische Sorgen, dieser größere Zusammenhang könne nach innen gerichtet sein oder das Konsensprinzip lasse nur Einigungen auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners zu. Die Clinton-Regierung umarmte die EU und unterzeichnete eine neue Transatlantische Agenda und machte sich daran, eine neue globale Partnerschaft zu schmieden. Die latenten Differenzen brachen während der Bush-Regierung auf. Deren Politik des „teile und herrsche“ gegenüber den eigenen Alliierten grub den europäischen Atlantikern das Wasser ab und stärkte die Position der europäischen Gaullisten. Und der Chor europäischer Stimmen, die behaupten, die ungezügelten USA stellten die globale Gefahr dar, hat Amerikas Europhilen geschadet und den Euroskeptikern Auftrieb gegeben.


In vielerlei Hinsicht ist die amerikanische Ambivalenz natürlich eng mit Europas eigener Ambivalenz über das europäische Projekt verknüpft. Was meinen die Europäer, wenn sie von einem starken Europa sprechen? Ist es das Europa Jean Monnets oder Charles de Gaulles? Das von Helmut Kohl oder Margaret Thatcher? Das von Vaclav Havel oder von Vaclav Klaus? Man mag Amerikanern also nachsehen, dass sie manchmal nicht genau wissen, welches Europa sie nun unterstützen sollen. Auf der anderen Seite reagiert die amerikanische Politik inzwischen zu schnell auf den Zickzackkurs der EU-Diskussion. Washingtons EU-Politik treibt so vor sich hin und wird immer stärker von europäischen Ängsten statt von amerikanischen Interessen bestimmt. Soll sich Amerika noch ein starkes Europa wünschen? Ja. Amerikas Problem ist nicht, dass die Europäische Union zu stark ist, sondern dass sie zu schwach ist. Die Vereinigten Staaten haben ein vitales Interesse an einer geeinten, der Welt zugewandten Europäischen Union, die mit uns gemeinsam weltweit agieren kann. Leider zweifeln immer mehr Amerikaner daran, dass das heutige europäische Projekt der Aufbau einer derartigen Union ist. Von daher die amerikanische Frage: Können Europäer sich eine nicht-gaullistische EU vorstellen, die sich als Amerikas Gegenüber und nicht als sein Gegengewicht versteht?


Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft bietet Angela Merkel die Gelegenheit, die unheilige Allianz zwischen amerikanischen Euroskeptikern und europäischen Gaullisten anzugehen, mit einer klaren Vision einer starken, nach außen gewandten, atlantizistischen EU; den EU-USAGipfel im April dafür zu nutzen, die atlantizistischen Wurzeln des europäischen Projekts zu feiern und eine stärker strategisch ausgerichtete Partnerschaft der Vereinigten Staaten und der EU zu schmieden, und schließlich neue Ebenen dieser Partnerschaft zu entwickeln.


Das größte Defizit, mit dem wir uns auf beiden Seiten des Atlantik befassen müssen, hat nichts mit Handelsfragen zu tun, nicht mit Geld oder militärischen Kapazitäten; es ist der in Washington herrschende Mangel an Verständnis für die größere Rolle der EU. Das Expertenwissen über die Europäische Union hat in dem Maß abgenommen, in dem die Rolle der EU gewachsen ist. Europas kollektive Stimme ist in Washington kaum zu hören. Viele wichtige Fragen der USA und der EU haben Folgen für Inlandsbehörden und Kongressausschüsse, die keine Ahnung von EU-Mechanismen oder Erfahrungen mit EU-Fragen haben.


Vor 50 Jahren war Europas zentrale Herausforderung seine Teilung. Heute ist Europas wichtigste Herausforderung seine Einheit. Berlins EU-Ratspräsidentschaft ist eine Gelegenheit, Deutschlands Position als kontinentaler Anker der atlantischen Welt zu bekräftigen und die deutsch-amerikanische Partnerschaft als Motor multilateraler Ansätze für die Lösung globaler Fragen wieder zu stärken. Weder Europa noch die Vereinigten Staaten können diese Aufgabe allein meistern.


Der Autor, ehemaliger Deputy Assistant Secretary of State for European Affairs, ist Professor an der Johns Hopkins Universität und Direktor des American Consortium on European Union Studies. Aus dem Englischen von Al Sopot


Aus: Der Tagesspiegel, Berlin