Tanz
Lia Rodrigues Companhia de Danças (Rio de Janeiro)
Incarnat - Fleischwerdung
Deutschlandpremiere
Choreografie: Lia Rodrigues, 70 min, 9 Tänzer
Ein nackter Körper, blutrot verschmiert, zuckt in einem durchsichtigen Plastiksack. Ein anderer scheint seine Eingeweide in Händen zu halten: Lia Rodrigues bringt brutale Realitäten physisch nahe. Realitäten, die jeder aus den Medien kennt und doch - oder gerade deshalb - sofort ins Reich der Virtualität verdrängt. Inspiriert von Susan Sontags Essay Das Leiden anderer betrachten (2003) thematisiert Incarnat die ambivalente Lust an der Beobachtung von Krieg und Gewalt. Das Stück erreicht höchste körperliche Intensität, denn die neun Tänzer begnügen sich nicht damit, darzustellen. Sie begeben sich in die gezeigten Zustände hinein. Die bewussten Anspielungen auf die victim art entblößen den ästhetischen Voyeurismus, der in jeder Betrachtung von Leid steckt - und sei es auch „zum guten Zweck“.
Incarnat kulminiert symbolisch in der Schlussszene. Der Körper einer Tänzerin wird von roten Linien ziseliert, die an indigene Tätowierungen erinnert. Sekunden später zerstört ein Akt wilden Aufbäumens die Zeichnung zu einem Geschmier roten Blutes - der Körper wird zum Manifest: „Rot auf Weiß, Weiß auf Rot, Schmerz auf der Haut, ein Schrei auf dem Körper.“ (Lia Rodrigues)
Lia Rodrigues, die zwischen Brasilien und Frankreich pendelt, wechselt auch zwischen den sozialen Schichten. Die Gründerin des RioArte de Dança Festivals zog für die Produktion von Incarnat mit ihren Tänzern in die Favelas von Rio de Janeiro. In einer offenen Lagerhalle probten sie dort, mitten im „gewohnheitsmäßigen Kriegszustand der Stadt“.
Eine Koproduktion des Hauses der Kulturen der Welt
Eine Veranstaltung im Rahmen von Brasilien-Fokus IN TRANSIT 06 / Copa da Cultura – Brasil + Deutschland 2006