Bibliothek 100 Jahre Gegenwart
Das Jetzt regiert und nimmt den gesamten Zeitraum in Anspruch, der uns zur Verfügung steht. Unter dem Druck der Gegenwart fehlen zeitgenössischem Denken oftmals sowohl das Geschichtsbewusstsein als auch der Zukunftshorizont. Die Publikationsreihe Bibliothek 100 Jahre Gegenwart stellt dem überkommenen Verständnis von Gegenwart andere Zeitentwürfe entgegen.
Die einzelnen Bände nehmen jeweils die Zeitspanne eines Jahrhunderts in den Blick, um die historischen Umwälzungen in Politik, Ökonomie, Spiritualität, Technologie und Kultur zu untersuchen, die die Gegenwart ebenso prägen wie die Zukunft. So sollen Transformationen identifiziert werden, zu denen alternative Ausgänge denkbar waren, und Kontinuitäten aufscheinen, an die sich anknüpfen lässt.
Die Reihe greift zentrale Fragen der letzten hundert Jahre nachhaltig wieder auf: die Wohnungsfrage, die Aktualität der künstlerischen Avantgarden, den Zusammenhang von Krieg und Technologie, den Einfluss historischer feministischer und anarchistischer Bewegungen, Fragen politischer Ordnungssysteme, Störfälle im Metabolismus des Planeten, Datenproduktion und Kybernetik und nicht zuletzt Auffassungen von Geschichte und Zeit selbst. Wo wurden Potenziale nicht entwickelt, wo blieben Fragen unbeantwortet und wo bietet die Geschichte Alternativen? Wie kann Vergangenheit nicht als Relikt, sondern als gelebte Erfahrung in die Gegenwart eingebracht und für die Zukunft fruchtbar gemacht werden?
Die Bände der Bibliothek 100 Jahre Gegenwart, erschienen bei Matthes & Seitz in Berlin, verstehen sich als paradigmatische Tiefenbohrungen, die modellhaft neue Formen der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen vorführen. Sie spiegeln damit die Veranstaltungsprogramme des Vierjahresprojekts 100 Jahre Gegenwart 2015 – 2019 und werden durch das abschließende Wörterbuch der Gegenwart komplettiert.
Wörterbuch der Gegenwart
13. Band, 2019
Herausgegeben von Bernd Scherer, Olga von Schubert und Stefan Aue
Was kommt nach dem Universalismus? Viele der Kategorien und Begriffe der Moderne schreiben historische Deutungsmuster fort, von denen sich kritische, postkoloniale und feministische Denker*innen weltweit distanzieren. Doch wie können wir uns über eine globalisierte Gegenwart verständigen, ohne uns auf bestimmte Grundbegriffe zu einigen? Das Wörterbuch der Gegenwart zeigt am Beispiel der zwölf Schlagworte Angst, Bild, Ding, Gewalt, Gerechtigkeit, Körper, Markt, Politik, Sprache, Tier, Wahrheit und Zeit, wie Festschreibungen durch situierte Stimmen neu perspektiviert werden können.
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Technosphäre
12. Band, 2019
Herausgegeben von Katrin Klingan und Christoph Rosol
Was geschieht, wenn Technologien und Techniken zu planetarischen Akteuren werden? Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich mit der Technosphäre eine neue Komponente des Erdsystems etabliert, vergleichbar in ihrer Wirkmacht und Funktion mit der Bio- oder Hydrosphäre. Das Zusammenfallen von natürlichen Umwelten mit technischen Infrastrukturen und die nahezu unkontrollierbare evolutionäre Dynamik einer wachsenden »technologischen Artenvielfalt« stellen neue Fragen nach den Ingangsetzungen und Operationsweisen einer All-Gegenwart des Technischen.
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100 Jahre Copyright
11. Band, 2019
Herausgegeben von Detlef Diederichsen und Lina Brion
Um Copyright und Urheberrecht wird derzeit erbittert gekämpft: Auf der einen Seite stehen all diejenigen, die ihr Geschäftsmodell um die Rechteverwertung herum gebaut haben – Verlage, Labels und Produktionsfirmen; auf der anderen die Vertreter*innen der digitalen Ökonomie – Telekommunikationsunternehmen, Web-Dienstleister*innen, Soft- und Hardware-Produzent*innen. Leidtragende in diesem Streit sind einerseits die Kreativen, für die es immer schwerer wird, mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten, weil die rechtliche Basis, auf der sie ihr Einkommen generieren, aus der prädigitalen Zeit stammt.
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Gezeitendenken
Recherchen abseits des Nationalstaatensystems
10. Band, 2020
Herausgegeben von Katrin Klingan, Nanna Heidenreich und Rana Dasgupta
Die Publikation hinterfragt den Nationalstaat als scheinbar einzig mögliche Form politischer Organisation heute. Ausgehend von der Frage, welche Optionen sich jenseits nationaler Strukturen bieten, analysiert das Buch die strukturellen Grundlagen des Nationalstaatensystems und sucht nach politischen und ästhetischen Strategien, um dessen Versagen in zentralen Belangen bloßzulegen. Zwei Metaphern gliedern den Band: Sand und Meer. Die Materialität des Sandes steht für den pathologischen Zustand von national definierten Territorien und globalem Kapitalismus. Demgegenüber verhilft das Meer fluiden Visionen zum Ausdruck und vermittelt Botschaften von politischen Alternativen. Das Aufeinandertreffen von Sand und Meer ermöglicht ein „Gezeitendenken“ – einen rhythmischen Austausch, der Konturen und Kategorien transformiert und damit neue Möglichkeiten für die Zukunft erschließt.
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Schools of Tomorrow
9. Band, 2019
Herausgegeben von Silvia Fehrmann
Schulreform jagt Schulreform – zur Erschöpfung von Lehrer*innen wie Eltern. Das Bildungswesen soll fit gemacht werden für eine durchökonomisierte Zukunft, die aber die wenigsten herbeisehnen. Vor hundert Jahren hingegen versuchten Reformpädagog*innen weltweit, Möglichkeiten für ein neues Handeln und Denken zu schaffen. Der Band geht der Frage nach, wie sich die experimentellen Praktiken der Vergangenheit auf das heutige Lernen unter digitalen Bedingungen anwenden lassen. Wie können Schulen zu Orten werden, in denen alternative Zukunftsentwürfe entstehen?
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Utopie und Feminismus
8. Band, 2018
Herausgegeben von Annemie Vanackere und Sarah Reimann
Die Russische Revolution schuf das fortschrittlichste, gänzlich geschlechtsneutrale Ehe- und Familienrecht, das die moderne Welt je gesehen hatte. Homosexualität, deren Propagierung im heutigen Russland unter Strafe steht, wurde im Russland des Jahres 1918 legalisiert. Die Anfänge der Russischen Revolution waren nicht nur ihrer, sondern auch unserer Zeit voraus. Ihre Träume wie ihre Praxis sind nicht nur schon wieder gegenwärtig, sondern auch immer noch zukünftig. Der gemeinsam mit dem Theater HAU Hebbel am Ufer entwickelte Band beschäftigt sich, ausgehend von den Texten der feministischen Autorin Alexandra Kollontai und den Produktionen von Künstler*innen, die vom HAU Hebbel am Ufer eingeladen wurden, mit dem Wandel historischer Utopien der Gleichheit in den letzten hundert Jahren.
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Kosmismus
7. Band, 2018
Herausgegeben von Boris Groys und Anton Vidokle
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verfolgten die russischen Denker*innen des Kosmismus das Ziel, die Menschen durch Technologie unsterblich zu machen. Auf diese Weise sollte das christliche Versprechen der Wiederauferstehung im Hier und Jetzt eingelöst werden. Eine zentrale Rolle spielten bei diesem Unterfangen die Künste, die aufgrund ihrer Fähigkeit, Dinge zu verewigen, als den Naturwissenschaften und der Medizin ebenbürtig angesehen wurden. Ausgehend vom historischen Kosmismus nimmt der Band angesichts neuer philosophischer Strömungen wie Spekulativer Realismus, Neuer Materialismus sowie Transhumanismus den Materialismus als zentralen Denkmodus des 20. Jahrhunderts in den Blick.
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2 oder 3 Tiger
Koloniale Geschichten, Medien und Moderne
6. Band, 2017
Herausgegeben von Hyunjin Kim und Anselm Franke
Künstler*innen, Kurator*innen und Theoretiker*innen aus dem ostasiatischen Raum reflektieren im sechsten Band der Bibliothek 100 Jahre Gegenwart die Moderne als koloniales Schema, das sich in der Geschichte der Nationalstaaten, der Militarisierung und Finanzialisierung fortschreibt. Anknüpfend an die Ausstellung 2 oder 3 Tiger dient das Motiv des Tigers in dieser Essaysammlung als Ausgangspunkt für eine Reflexion über Modernisierungsideologien, Erzählungen über die Neuordnung der Welt und über die tiefen Bewusstseinskrisen, zu denen koloniale Weltbilder in vielen Gesellschaften in den vergangenen 200 Jahren geführt haben.
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Pop 16
100 Jahre produzierte Musik
5. Band, 2017
Herausgegeben von Detlef Diederichsen und Florian Sievers
Ähnlich wie die Fotografie das Licht, hielten Wachswalzen und Schellack-Schallplatten vor hundert Jahren erstmals die Klänge ihrer Zeit fest. Ein Schritt mit weitreichenden Folgen: Er veränderte nicht nur, wie Menschen fortan Musik hören sollten – sondern wirkte auch auf die Musik selbst zurück. Wie prägten die ersten produzierten, also bewusst klanglich gestalteten Aufnahmen unsere Hörgewohnheiten? Wie transformierten die Tonträger, die fortan ohne menschliche Begleitung um die Welt reisten, ganze Musikstile?
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Nervöse Systeme
4. Band, 2017
Herausgegeben von Anselm Franke, Stephanie Hankey und Marek Tuszynski
Das Nervensystem ist heute zum Leitmotiv einer immer nervöseren, technologisch hochgerüsteten Zeit geworden. Unternehmen sprechen von »smart nerves« und »synaptischen Echtzeit-Verbindungen« als organisatorische Lösungen für nahezu jedes Problem, egal ob in Staatsapparaten, Wirtschaft oder Ökologie. Der Band untersucht, wie das neue Vertrauen in technologische Lösungen und datenbasierte Algorithmen, getragen von Datenanalysen, Reality Mining, Mustererkennung und Prognosen, unser Verständnis des »Selbst« und des »Sozialen« verändert hat. Dabei verortet er die Auseinandersetzung mit Daten in sozialen und politischen Strategien der letzten hundert Jahre.
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Krieg singen
3. Band, 2017
Herausgegeben von Detlef Diederichsen und Holger Schulze
Wieso gehen Krieg und Musik so gut zusammen? Bei Kriegspropaganda, Kriegshetze und – ganz aktuell – als Soundtrack von bestialischen Mordvideos kommt Musik eine entscheidende Rolle zu. Dem gegenüber stehen eine Vielzahl von Musiken, die Frieden und Gewaltlosigkeit beschwören, und so etwas wie musikalische Trauerarbeit. Die Publikation versammelt theoretische Reflexionen, Textcollagen und Interviews zur Verbindung von Krieg, Technologie und Musik.
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Wohnungsfrage
2. Band, 2017
Herausgegeben von Jesko Fezer, Nikolaus Hirsch, Wilfried Kuehn und Hila Peleg
Wohnungsmangel, Verdrängung, Luxussanierungen, Geflüchtetenunterkünfte – nach Jahrzehnten, die durch einen angeblich selbstregulierenden Markt geprägt waren, ist die Wohnungsfrage als gesellschaftspolitisches Thema zurück: Wie wollen wir in Zukunft leben, wie sollen unsere Städte aussehen? Eine Analyse der historischen Topoi, die das Wohnen bis heute bestimmen: Ungleichheit, Nachbarschaft, Migration, Leben und Arbeiten. Und die Forderung nach einer neuen Wohnungspolitik.
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Die Zeit der Algorithmen
1. Band, 2016
Herausgegeben von Bernd Scherer
Unter dem Druck der Gegenwart fehlt zeitgenössischem Denken oftmals sowohl das Geschichtsbewusstsein als auch der Zukunftshorizont. Wie kam es zu einer Fixierung auf den einen Moment, den gegenwärtigen Augenblick? Im ersten Band Die Zeit der Algorithmen untersuchen die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, Autorin des visionären Buches Eigenzeit (1989), und HKW-Intendant Bernd Scherer, wie sich die Vorstellungen von Zeit zwischen Kapitalismus, kriegerischen Konflikten und technologischem Fortschritt entwickelt haben, wie Zeit heute erlebt wird, welche Auswege es aus dem immer globaler werdenden Raster der Beschleunigung und der Taktung geben könnte und welche Rolle Peripherien und Ränder des Algorithmus dabei spielen.
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