Eignen sich Online-Tools für inklusive Kunst- und Kulturvermittlung?
Von Ralf Rebmann
Welche Konsequenzen hat die Corona-Pandemie für die inklusive Kunst- und Kulturvermittlung? Die Kulturmangerin und -vermittlerin Stefanie Wiens und die Kulturschaffende und Kunstvermittlerin Katrin Dinges von < Platz Da! > sprechen im Interview über Stärken und Schwächen von Online-Tools sowie Empowerment-Strategien für Menschen mit Behinderung.
< Platz da! > beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit inklusiver Kulturvermittlung und der Beratung von Einrichtungen zu Barrierefreiheit und Inklusion. Wie hat sich Ihre Arbeit durch die Corona-Pandemie verändert?
Stefanie Wiens: Zu Beginn erhielten wir viele Absagen von Auftraggeber*innen und Kooperationspartner*innen. Durch die Schließung der Kultureinrichtungen konnten wir insbesondere im Bereich der inklusiven Kulturvermittlung angefangene Aufträge nicht weiter durchführen oder neue Projekte beginnen. Wir hatten dennoch schnell Ideen, wie wir trotz der Schließungen Kunst und Kultur so vermitteln können, dass möglichst viele verschiedene Menschen erreicht werden. Die Ideen stießen aber nicht bei allen Auftraggeber*innen auf Gegenliebe, was wohl in der kritischen Einstellung gegenüber Online-Formaten begründet liegt.
Katrin Dinges: Für mich hat meine Arbeit als Künstlerin und Kulturvermittlerin während der Corona-Pandemie fast völlig aufgehört. Einen einzigen Auftrag habe ich noch in diesem Jahr. Natürlich mache ich mir Gedanken über weitere Online-Angebote, aber ohne Träger, wie zum Beispiel die Bundesakademie Wolfenbüttel, die mit uns als <Platz da!> Team kooperiert, wird das schwierig werden. Trotz allem ist es gut, Zeit zu haben, um zu überlegen, was ich in Zukunft gut machen kann und möchte.
Mit welchen Herausforderungen sind Kunst- und Kulturschaffende mit Behinderung in der Corona-Krise konfrontiert?
Katrin Dinges: Behinderte Menschen sind besonders stark von Isolation und Veränderungen wegen Corona betroffen – auch weil viele von ihnen zu Risikogruppen gehören. Mich persönlich hat diese Situation mehrere Wochen, abgesehen von meinen lebensnotwendigen Behandlungen, komplett isoliert und ich hatte nicht einmal mehr Assistenz, also eine persönliche Begleitung, die mir im Alltag hilft. Das hat sich dann zum Glück wieder geändert, aber diese kurze Zeit war sehr hart für mich.
Der gesamte Kulturbetrieb benötigt derzeit Hilfe, um durch die Krise zu kommen. Wie kann speziell die inklusive Kulturvermittlung unterstützt werden?
Katrin Dinges: Grundsätzlich sollten Strategien erarbeitet werden, um Kulturschaffende mit Behinderung zu stärken. Es wäre gut, Träger zu haben, die regelmäßige Einkommen ermöglichen und mit deren Hilfe bzw. über deren Netzwerke und Werbekanäle Workshops und andere Onlineangebote finanziert und organisiert werden könnten. Zukünftig wird es noch wichtiger werden, individuelle Formate zu entwickeln, um neue Teilnehmer*innen, einzelne Interessierte und Gruppen bzw. Organisationen für vielfältige Angebote zu gewinnen. Zentral ist auch ein barrierefreies Online-Tool, um solche Formate durchzuführen – aber das habe ich bisher noch nicht gefunden.
Auch auf bürokratischer Ebene gibt es viel zu prüfen, zum Beispiel ob Auflagen für die Bewilligungen von Fortbildungen durch Jobcenter gelockert werden könnten, um die Chancen behinderter Menschen im freiberuflichen Bereich zu erhöhen. Auch in puncto Assistenzkostenübernahme müsste da etwas geschehen: Momentan erhält man nur finanzielle Unterstützung für eine Assistenz im Rahmen freiberuflicher Projekte, wenn man eine Firma gründet, aber nicht, wenn man als Honorarkraft oder freiberuflich arbeiten möchte. Das ist sehr ungerecht und sollte dringend geändert werden.
Zusammen mit der Bundesakademie Wolfenbüttel fand Ende April der Online-Workshop „Was stärkt mich in der Krise? Empowerment für Kulturschaffende mit Behinderung“ statt. Wie war Ihre Erfahrung damit?
Stefanie Wiens: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie viel sich in kurzer Zeit und selbst mit Online-Formaten auf die Beine stellen lässt. Das Digitale hat jedoch auch Grenzen: Als Moderatorin fordern Online-Workshops mich und meine Konzentration bisher so sehr, dass eine Dauer von drei bis vier Stunden mit Pausen das Maximum ist. Im digitalen Raum ist es einfach schwieriger, Moderation und inhaltliche Vermittlung organisch zu gestalten: Geht es allen gut? Kommen alle mit? Gibt es eine Frage? Vor Ort kann ich durch Lesen der Körpersprache der Anwesenden deutlich mehr erklären und auf Fragen eingehen. Auch die Teilnehmer*innen bestätigen oft, dass eine Begrenzung bezüglich Dauer und Personenanzahl von Online-Formaten sehr sinnvoll ist.
Katrin Dinges: Das kann ich bestätigen, wobei meine persönliche Belastungsgrenze noch niedriger ist. Allein habe ich schon länger keinen Workshop mehr moderiert, weder off- noch online. Online traue ich mir das aus technischen Gründen gar nicht zu und bräuchte in jedem Fall zu einer Assistenz, die verschriftlicht, zusätzlich eine weitere, die den technischen Part übernimmt – die beispielsweise Hilfestellung leistet, wenn technische Schwierigkeiten bei Teilnehmenden oder mir auftreten. Grundsätzlich fehlen mir bei Online-Workshops der persönliche Kontakt zu den Menschen und das Erspüren der Atmosphäre im Raum, denn ich habe ja keine Informationen über Körpersprache und Mimik. Da sind sehende Menschen klar im Vorteil. Trotzdem freue ich mich natürlich, dass dieses Treffen überhaupt möglich war und bin fasziniert von den tollen Ergebnissen, die wir dabei erzielt haben.
In welchen Punkten ließen sich Online-Workshops für Menschen mit Behinderung noch verbessern?
Katrin Dinges: Ich fände es wichtig, in einem künftigen Online-Workshop gemeinsam zu überlegen, wie Kulturarbeit und -vermittlung und inklusive Sensibilisierung in Zeiten von Corona weitergedacht, verändert, angepasst und vielen Menschen zugänglich gemacht werden könnten. Gut fand ich den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher*innen bzw. Verschriftlichung während der Workshops – so war es auch für gehörlose Teilnehmer*innen und mich zugänglich. Es sollte auch Trainings für Menschen mit Lernschwierigkeiten geben, von denen viele bisher aufgrund von Schwierigkeiten mit Computertechnik von solchen Online-Angeboten ausgeschlossen werden. Schließlich sollten die Online-Tools barrierefrei für Screenreader-Nutzer*innen gestaltet werden, damit Menschen, die blind oder sehbehindert sind, ebenso teilhaben können.
Stefanie Wiens: Durch die Visualität der Online-Tools werden blinde Menschen im Moment häufig ausgeschlossen. Bei manchen Anbieter*innen ist es jedoch möglich, auch über ein Telefon an Online-Treffen teilzunehmen. Bei dieser Art der auditiven Teilnahme müssen alle „Offline-Maßnahmen“ zum Abbau von Barrieren, also beispielsweise die Beschreibung visueller Elemente für blinde Menschen oder die Gestaltung der Präsentation in hohem Kontrast und großer Schriftgröße für sehbehinderte Teilnehmer*innen, beachtet werden. Wo Menschen im Bereich des Lernens auf Barrieren stoßen, findet zur Zeit aus meiner Sicht der größte Ausschluss statt, da viele von ihnen in sogenannten Behindertenwohneinrichtungen keinen oder nur begrenzten Zugang zum Internet haben. Eine entsprechende Hardware ist teilweise nicht vorhanden oder deren Benutzung wird durch Betreuer*innen reglementiert.
Haben digitale Vermittlungsangebote auch Vorteile, die Präsenzveranstaltungen nicht bieten?
Stefanie Wiens: Wir sprechen im < Platz da! > Team immer über Barrieren in den Bereichen des Bewegens, Hörens, Sehens und Lernens. Insbesondere Menschen, die einen Rollstuhl nutzen, oder eine (temporäre) Gehbehinderung haben und denen durch fehlende Barrierefreiheit der Veranstaltungsorte, Teilhabe bisher verwehrt blieb, können nun online teilnehmen. Hilfsmittel wie Assistenzhunde oder das Verbot von beispielsweise Fahrrädern für kleinwüchsige Menschen spielen auch keine Rolle mehr. Das ist gut. Ein Vorteil der Visualität dieser Online-Tools ist, dass auch taube und schwerhörige Teilnehmer*innen zum Beispiel über Präsentationen mit Piktogrammen gut erreicht werden können. Zudem ist hier der wichtigste Aspekt – die Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache – technisch gut umsetzbar. Dolmetscher*innen werden dazu geschaltet und mit den richtigen Einstellungen des Online-Tools steht der Kommunikation zwischen schwerhörigen, tauben und hörenden Teilnehmer*innen nichts mehr im Weg.
Katrin Dinges: In meinem Fall muss ich meine Teilnahme durch Assistenz ermöglichen, sie also selbst herstellen. Das funktioniert technisch und mit manchen Auftraggeber*innen ganz gut, ist aber immer noch ziemlich anstrengend und die sinnliche Wahrnehmung sowie das intuitive Erspüren von Stimmungen fallen dann ganz weg. Trotzdem konnte ich so in der Vergangenheit an vielen auditiven Chats teilnehmen und einige Chats mit Facebook durchführen, was ich als große Bereicherung meiner Kommunikationsstrategien empfinde. Ergänzen möchte ich noch, dass es bei vielen Online-Tools die Möglichkeit der Untertitelung gibt, was für schwerhörige Menschen eine Hilfe sein kann oder wenn Fremdsprachen verwendet werden.
Planen Sie, digitale Vermittlungsformate in Zukunft stärker einzusetzen?
Stefanie Wiens: Die Corona-Pandemie hat es definitiv geschafft, dass wir uns intensiv mit den Schätzen und Stolpersteinen digitaler Vermittlungsformate auseinandergesetzt haben. Insbesondere im Bereich der Beratung kann ich mir einen verstärkten Einsatz zukünftig vorstellen, genauso wie im Bereich der Kulturvermittlung – für letzteres brauchen wir jedoch offene Auftraggeber*innen.
Katrin Dinges: Es ist eine schöne Sache, diese zusätzliche Option mit im Kopf zu haben und jeweils gemeinsam mit Auftraggeber*innen ausloten zu können, welche Strategie ihnen mehr liegt, off- oder online. Wir alle werden durch die Online-Formate für weitere Möglichkeiten sensibilisiert und das kann nur ein Gewinn sein.
Die Fragen stellte Ralf Rebmann, freier Journalist und Online-Redakteur mit den Schwerpunktthemen Migration, Kultur und Menschenrechte.