„Die Hürden werden verschwinden“

Von Khalid Alaboud

Aufführung der "Winterreise" des Exil Ensembles am Maxim Gorki Theater in Berlin, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO

Ob Musiker*innen, Dichter*innen oder Maler*innen: Viele neuangekommene Kulturschaffende aus Syrien versuchen sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. Wie erfolgreich sind sie dabei? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? Beobachtungen aus Berlin von Khalid Alaboud.

Habt ihr Theater? Bibliotheken? Gibt es in Syrien auch Ampeln? Wir neu in Deutschland Angekommenen wundern uns über so manche Frage, die uns gestellt wird. Diese Fragen rühren vermutlich daher, dass es uns in der Vergangenheit nicht gelungen ist, Syrien in ein anderes Licht zu rücken. Verhindert hat dies nicht zuletzt eine autoritäre Regierung, die bis heute alles, von der Kultur bis zur Wirtschaft, kontrolliert. Die hiesigen, gängigen Vorurteile und Klischees verstärken dieses Bild – 1001 Nacht und Co. lassen grüßen.

Wen wundert es da, dass viele Organisationen und Behörden, die mit uns Neuangekommen zu tun haben, zuallererst „Flüchtlinge“ sehen und unsere intellektuellen Fähigkeiten, unser Wissen und unsere Ressourcen kaum zur Kenntnis nehmen. Die Neuangekommenen fühlen sich oft in eine „Flüchtlingsschublade“ gesteckt, in der ihre mitgebrachten Fähigkeiten und alles, was sie bislang in ihrem Leben erreicht haben, keine Rolle spielen.

Eine neue Erfahrung für Kulturschaffende und Publikum

Intellektuelle und Kulturschaffende stellen einen nicht geringen Teil der Menschen dar, die in den vergangenen drei Jahren aus Syrien oder dem Irak nach Deutschland gekommen sind. Dazu gehören MusikerInnen, DichterInnen, AutorInnen, MalerInnen und BildhauerInnen, genauso wie RegisseurInnen und SchauspielerInnen.

Die Kulturlandschaft in Deutschland hat plötzlich mit einer großen Gruppe von Kulturschaffenden zu tun, die aus einer anderen künstlerischen Tradition kommen. Sie arbeiten anders, verwenden andere Sprachen, im Gespräch und in der künstlerischen Praxis. Das ist eine neue Erfahrung; auch für das Publikum.

Der deutsche Kulturbetrieb geht auf zwei unterschiedliche Arten damit um. Einerseits werden die Neuangekommenen als Bereicherung gesehen. Ihr Beitrag wird aufgegriffen, um gemeinsam neue Projekte zu entwickeln. Der andere Ansatz zielt in eine humanitären Richtung: Die Kulturschaffenden werden wegen ihrer Flucht- und Kriegserfahrung gewürdigt und weniger aufgrund ihrer Fähigkeiten. Dies kann dazu führen, dass AmateurInnen als RepräsentantInnen der syrischen Kultur im Rampenlicht stehen, jedoch keinerlei Erfahrung oder Vorbildung haben – zur Enttäuschung der professionellen Kunstschaffenden.

Sprachbarriere erschwert kulturelle Teilhabe

Bei ihrer Ankunft in Deutschland stoßen Künstler*innen auf viele Herausforderungen. Eine andere Gesellschaft, eine fremde Kultur, eine unverständliche Sprache. Gerade für Drehbuch- und Theaterautor*innen, Filmemacher*innen und RegisseurInnen bedeutet dies eine fast unüberwindbare Hürde. Während es einigen gelingt, Deutsch so gut zu beherrschen, dass sie sich beteiligen können, bleiben viele andere ausgeschlossen.

Die Sprachbarriere bringe viele dazu, sich zurückzuziehen, sagt Athil Hamdan, professioneller Musiker aus Syrien. Bevor Hamdan nach Deutschland kam, war er Dekan der Musikhochschule in Damaskus und wirkte als Solocellist beim Syrischen Nationalorchester mit. In Deutschland präsentierte er schon in zahlreichen Konzerten sein Können.

Doch nicht alle Musiker*innen sind so bekannt wie Athil Hamdan. Viele wissen nicht, wie sie sich im deutschen Kulturbetrieb vermarkten sollen. Wie können sie Kontakte knüpfen? Wen spricht man an? Dies erfordert neben sprachlichen Fähigkeiten auch ein Netzwerk von Bekanntschaften, das erst aufgebaut werden muss. Darüber hinaus haben Kulturschaffende aus Syrien oder dem Irak mit Schwierigkeiten ganz grundsätzlicher Art zu kämpfen: Ausländerbehörde, Jobcenter, Wohnungssuche, Heimweh und Depression.

Erfolgsgeschichten gibt es viele

Trotz dieser Probleme gibt es in Berlin mittlerweile zahlreiche Konzerte und Lesungen, bei denen syrische oder irakische MusikerInnen oder AutorInnen vertreten sind. So zum Beispiel Ayham Magid Agha, Theatermacher aus Syrien, der im Maxim Gorki Theater in Berlin die Künstlerische Leitung des Projekts „ Exil Ensemble “ übernommen hat. Im vergangenen September wurde unter seiner Regie zudem das Stück „Skelett eines Elefanten in der Wüste“ erstmals auf die Bühne gebracht.

Mehrere MusikerInnen, unter ihnen Profis und auch AmateurInnen, beteiligen sich gemeinsam mit deutschen KollegInnen an verschiedenen künstlerischen Initiativen. Hier sei der „ Hoffnungschor “ genannt, ein gemischter Chor, der sowohl deutsche als auch arabische Stücke singt.

Der Künstler Khaled Baraka arbeitet an einem syrischen Kulturindex, der als Kontaktbörse zwischen syrischen und anderen Kulturschaffenden in Europa fungieren soll. Auf der Plattform werden zukünftig Künstler*innen aus Syrien und deren Werke vorgestellt, um ihre Arbeit sichtbar zu machen und den Austausch zu erleichtern.

Auch Bassam Dawood, ein syrischer Theaterautor, hat an vielen Theaterproduktionen in Berlin mitgewirkt. Er ist zudem an dem Radioprojekt „ Radio Souriali “ beteiligt, bei dem er traditionelles syrisches Storytelling als Kunstform einsetzt. Gleichzeitig arbeitet er an der Gründung des KünstlerInnen-Netzwerks „Nawras“ („Seemöwe) mit dem Ziel, syrische KünstlerInnen und Intellektuelle verschiedenster Richtungen zusammenzubringen. Kontakte untereinander und mit Kulturinstitutionen sollen so vereinfacht, Stipendien vermittelt und Workshops zur Kulturvermittlung angeboten werden.

Hervorzuheben ist außerdem das „ poesiefestival berlin “, an dem sich viele Autor*innen aus Syrien beteiligten. Oder das Potsdamer Theater „T-Werk“, wo der syrischer Schauspieler Jalal Mando zusammen mit Angélique Préau das Stück „Die andere Seite des Mondes“ aufgeführt hat. Es gibt so viele Erfolgsgeschichten, dass es unmöglich ist, sie hier alle aufzulisten.

Das Ziel: Räume eröffnen und Projekte vermitteln

Wir brauchen Zeit. Die meisten der erwähnten Hürden werden verschwinden, wenn die Neuangekommenen besser Deutsch sprechen und sich in Deutschland ein Netzwerk aufgebaut haben. Wichtig für dieses Ankommen ist aber auch, dass deutsche Organisationen und Institutionen aufhören, die Neuangekommenen mit Seminaren zu bedenken, in denen ihnen Grundfertigkeiten vermittelt werden, aber nicht gefragt wird, was sie zuvor in ihrem Bereich geleistet haben.

Es ist nicht hilfreich, eine Regisseurin in einen Workshop zu den Grundprinzipien des Theaters zu schicken, wenn diese in der Vergangenheit vor ausverkauften Häusern große Erfolge gefeiert hat. Sehr viel zielführender ist es, ihr Kontakte zu vermitteln und Räume zu eröffnen, damit sie gemeinsam mit anderen Künstler*innen Projekte entwickeln kann. Ein Blick in die Berliner Kulturlandschaft zeigt, dass es solche Kooperationen in der Geschichte immer gegeben hat und kreative Ideen auf diese Weise erfolgreich umgesetzt werden konnten.

Autor*in: Khalid Alaboud

Übersetzung aus dem Arabischen: Julia Gerlach