2018: Wie politisch ist das HKW?
Werte, politische Ideale und Sicherheiten werden unter dem Druck der erstarkenden politischen Rechten neu verhandelt. Der nationale Geist wird durch kleine Anfragen der AfD an Institutionen oder Parteien heraufbeschworen. Der Widerstand in Tat und Gedanken muss neu trainiert werden. Hier entsteht eine neue, dringliche Aufgabe für Kulturinstitutionen. Unter dem Namen Die Vielen schließen sich Kulturinstitutionen in zahlreichen Städten Deutschlands zusammen, um Solidarität zu zeigen. Auch das HKW unterzeichnet die Berliner Erklärung der Vielen. Überwunden geglaubtes Gedankengut aus der Vorkriegszeit und dem Kalten Krieg haben ein weltpolitisches Comeback. Dadurch wird es notwendig, (selbst-)kritisch auf die Fundamente des Zusammenlebens und der Kultur zu schauen.
Bereits im Frühjahr greift das Symposium Gefährliche Konjunkturen die 1988 von Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein entwickelten Gedanken zu „Rasse”, Klasse und Nation auf, um deren Wechselwirkung in der Gegenwart zu bestimmen und die heutige Hochkonjunktur von Rassismus in Verbindung mit Klassenverhältnissen und Nationalismen zu beleuchten.
Innerhalb der bildenden Kunst des HKW-Programms stand im Jahr 2018 der Kanon dreifach auf dem Prüfstand: Das Jahr beginnt mit den letzten Ausstellungstagen von Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg, einem Projekt, das den Glauben vieler Gäste an frei und autonom arbeitende Künstler*innen ins Wanken bringt, aber auch zeigt, wie sich Kunstschaffende im Kampf der Systeme der Instrumentalisierung verwehrten und eigene Positionen behaupteten. Mit geradezu forensischer Präzision werden Kunst und Kunstausstellungen als Objekte politischer Vereinnahmung untersucht.
Die Ausstellung ermöglichte auch einen selbstkritischen Blick auf die Geschichte des HKW. Als Geschenk der US-Amerikaner*innen an West-Berlin war das Gebäude der Kongresshalle eine Demonstration von Freiheit, die nach Ost-Berlin hin sichtbar sein sollte. Aus dem historischen Erbe Gegenerzählungen mit Relevanz für die Gegenwart zu entwickeln, wird ein Markenzeichen des HKW-Ausstellungsprogramms.
Die Folgeausstellung Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930 betrachtet einen Zeitraum, der historisch so aufgeladen ist, dass er teils in Legenden und Klischees erstarrt, aus einer besonderen Perspektive, nämlich aus dem Blickwinkel des Kunstwissenschaftlers und Revolutionärs Carl Einstein. Auch hier greifen Kunst und Politik in komplexen Konstellationen ineinander, wenn Avantgarde und politischer Rückschritt nebeneinander verhandelt werden. 2018 und „ca. 1930“ ähneln sich insofern, als in beiden Jahren die öffentliche Meinung und die Medien die Krisenhaftigkeit der Periode konstatieren. Die Position von Einstein bietet die Möglichkeit, gleich zwei Waffen gegen echte und gefühlte Krisen zu entdecken: intellektuelle Schärfe und kämpferischer Widerstand, was ihn für viele Besucher*innen zu einer wichtigen Entdeckung werden lässt.
Der Dreiklang der Ausstellungen zu den Kanon-Fragen wird abgerundet mit dem Projekt The Most Dangerous Game. Der Weg der Situationistischen Internationale in den Mai 68. Darin wird nachgezeichnet, wie künstlerische und ästhetische Ideen von avantgardistischen Künstler*innen schließlich in einem politischen Großprojekt aufgehen oder sich mit diesem verbinden. Was bleibt, ist die Frage, inwieweit der kulturelle Umbruch der sechziger Jahre durch Künstler*innen, Studierende oder die Vereinnahmung durch den Kommerz populär wurde.
Die Thematik von Verwertung und Vergütung steht auch im Zentrum von 100 Jahre Copyright: Das Programm schaut auf die Umbrüche in der Musik, ausgelöst durch den Clash von geistigem Eigentum vs. freier Verbreitung von Ideen.
Die Frage nach passenden Bildungssystemen für zukünftige Generationen, die neue Grundsatzverhandlungen über Werte, kulturelle Umbrüche und politische Gleichgewichte führen müssen, erfährt im Jahr 2018 mit dem Projekt Schools of Tomorrow innerhalb des Langzeitprojekts 100 Jahre Gegenwart einen Höhepunkt: In großangelegten Forschungen, Spekulationen und praktischen Erkundungen wird die Frage nach der Reformpädagogik John Deweys neu gestellt. Sind unsere Schüler*innen überhaupt noch utopiefähig? Lässt sich ein Schulsystem imaginieren, das nicht mit dem politischen oder Wirtschaftssystem Hand in Hand geht? Selten wurde die transformative Kraft von Bildung so lebhaft in Szene gesetzt wie in diesem Projekt, für das sich auch Bundespräsident Steinmeier brennend interessierte. Die politische Dimension der Bauhaus-Pädagogik als eine der relevantesten erzieherischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, wird im Schlussakkord des Jahres jedoch angegriffen: Durch die Ausladung der Punkband Feine Sahne Fischfilet durch die Direktorin des Dessauer Bauhaus mit der Begründung, das Bauhaus sei nicht politisch, stellt sie die gesamten Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jubiläum 2019 Ende 2018 in Frage. Es entstehen neue Grundsatzfragen zur Positionierung von Kultur und nach dem Recht, Narrative für die Vergangenheit zu schaffen. Für das HKW geht es nun darum, innerhalb einer Arbeitsgruppe zum Bauhaus, zu der es auch gehörte, Haltung zu zeigen und dem naiven und gefährlichen Glauben an neutrale Kulturinstitutionen etwas entgegenzusetzen. So wird zusammen mit der Berliner Senatsverwaltung und ARCH+ die Veranstaltung Wie politisch ist das Bauhaus? geplant – die Frage ist also nicht „ob“, sondern „wie“.