2007: Blickperspektive 360 Grad
Dass ein tiefgreifender Umbau in aller Regel ebenso wenig pünktlich fertig wird wie ein Neubau, kann man an vielerlei großen Bauvorhaben zwischen Hamburg-Hafen und Berlin-Schönefeld studieren. Die Sanierung des HKW aber gelang wie geplant, dauerte tatsächlich nur von Frühherbst 2006 bis Sommer 2007, obwohl das Haus im Inneren zwischenzeitlich ruinöser aussah als nach dem Einsturz des Daches 1980. Kalt wars, dunkel, Betonbrocken lagen und Kabel hingen herum. Durch dieses Wirrwarr bahnten sich aber Besucher – ausgerüstet mit Bauhelmen - den Weg zu den Veranstaltungen „Meine Baustelle“, bei denen für das HKW, und für heutiges Leben, zentrale Kategorien thematisiert wurden. „Diplomatie“ etwa wurde von Joschka Fischer und Peter Sloterdijk schon im Herbst 2006 diskutiert, „Haus“ waren Veranstaltungen zu Heimat, Mobilität und Migration betitelt (siehe Episode 50). „Kritik“ besangen und bedachten die Altkritikaster der Ton-Steine- Scherben-Family und von Kommando Mundstuhl sowie die kritischen Rapper von K.I.Z. „Zeit“ und ihre Wahrnehmung reflektierten Konzerte von The Necks oder Konono No 1. „Markt“ schließlich war ein Programm zum Austausch betitelt, einem nun wirklich zentralen Fokus des HKW.
Natürlich waren bei „Meine Baustelle“ die Themen und die Mitmacher wichtig, ebenso wichtig ist aber die Haltung, die diese Baustellen-Events andeuteten: Neue Formen und Inhalte erproben, experimentell ins Risiko gehen, auch Unfertiges zur Diskussion stellen. Eine Haltung, die nicht unbedingt selbstverständlich ist für ein Haus, das einen „Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin - KBB“ bildet – so könnte man jedenfalls meinen.
Diesem Umbruch versuchshalber folgte zur Wiedereröffnung des HKW gleich ein richtungweisender: Mit einem New York-Kulturmarathon wurde gleichzeitig die bauliche Erneuerung wie der 50. Jahrestag der Einweihung der Kongresshalle gefeiert . Somit schloss sich ein Kreis , wurde die Halle doch am 19. September 1957 mit Symposien zum Verhältnis von Alter und Neuer Welt und mit für deutsche Verhältnisse eher avantgardistischen Beiträgen US-amerikanischer Künste eröffnet. „72 Stunden New York“ hieß es nun im August 2007, eingeläutet mit der Performance „Fabulous Worship with Reverend Billy and the Stop Shopping Gospel Choir“. Es folgten in den nächsten Wochen New Yorker Gegenwartsdramatik, “Nomadic New York”-Performances, Latin Music unter dem Titel “El Barrio” und Folk und Anti-Folk aus Greenwich Village, Musik aus dem Great American Songbook mit unter anderen dem wunderbaren Jimmy Scott (!) … und … literarische Stimmen aus New York mit Jonathan Lethem und E.L. Doctorow zum Beispiel … und … ein Vortrag zu 9/11 … und … ein Gipfeltreffen zu NY/West/Ost-Fluxus … und … die Ausstellung „New York States of Mind“ zur Stadt als politischem Erfahrungsraum … und… und … Filme natürlich von Winterbottoms „Road to Guantanamo“ über „Gay Sex in the USA“ über „Afro Punk“ bis „Der Pate“ und „Night on Earth“ … und …. Und ab dem 19. September dann als Gegenpart zu den Symposien 1957 „Transatlantische Gespräche“: Diese durch die Verwerfungen im Zuge der Bush-Administration sehr notwendigen „Verständigungen im deutsch-amerikanischen Dialog“ wurden von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Jeremy Rifkin eingeleitet. Natürlich ist das ein staunenswert umfangreiches und hochkarätiges Programm, aber: Hallo! War da nicht was? Wieso macht das Haus der Kulturen der Welt plötzlich ein USA-Programm? Schließlich war das HKW doch 1989 als Ort für Kulturen aus den „devisenschwachen Ländern“ gestartet – und die Bankenkrise begann zwar ebenfalls 2007, war in den Folgen für die USA und ihr wirtschaftliches Standing da aber doch noch nicht zu erahnen.
Nein, es ist eine weitere Veränderung der Arbeit des HKW, die hier vorgenommen wurde, um seinen Basisauftrag zeitgemäß zu erfüllen: die Verlinkung von deutscher Gesellschaft, Kunst und Politik mit der Welt – eine neue Phase nach der des „umgekehrten Goethe-Instituts“, in der sich das HKW als Präsentationsbühne von Künsten der südlichen Erdhalbkugel verstand. Danach folgte ja die Periode, in der außereuropäischen Kulturen ihre ganze Voll-Wertigkeit zugesprochen bekamen, also HKW als hochkulturelles Dauerfestival, und als dritte die Phase, in der das Haus den internationalisierten Kuratoren mit Geburtsort Afrika, Asien, Südamerika die institutionellen Mittel für die Realisierung ihrer Projekte lieh. Interessante Perspektiven allemal, nur: Jetzt kam es darauf an, zu begreifen, dass keine Idee, kein Problem, keine Herausforderung im Kontext nur eines Landes zu fassen ist. In diesem Sinne die Globalisierung gedacht, geraten die weltweiten Verflechtungen ebenso in den Blick wie die Länder der Nordhalbkugel. Da ist es nur logisch, sich einer Stadt wie New York zuzuwenden, die wie kaum eine andere Metropole nicht zu denken ist ohne Wanderung der Gelder, Künste und Menschen. Insofern war NY zu betrachten, ein Stück weltweiter Entwicklungen zu antizipieren.
Spannend, wie es mit dieser neuen Häutung des HKW weitergeht.
Axel Besteher-Hegenbart