2005: Schön oder was?
Das Haus als Wu Hungs Gesamtkunstwerk
Ein Mädchen, das seine Hand auf die blutenden Augenhöhlen presst - ist das schön? Oder sind es die rosa Schäfchenwolken und der kräftig grüne Bambuswald, die diese Mädchenpuppe flankieren? Farben und Formen, die die junge Chinesin nicht mehr sehen, vielleicht aber noch träumen kann, in Träumen von einer schönen Idylle. Die Installation von Zhuang Hui ist Reflex auf den authentischen Fall einer Fabrikarbeiterin, die, von zwei Männern auf offener Straße niedergeschlagen, aus der Bewusstlosigkeit erwacht - ohne ihre Augen, die inzwischen schon längst auf den Wegen des internationalen Organhandels unterwegs sind. Oder ist das schön, wenn in dem Video "Rite of Spring" der Polin Katrzyna Kozyra 80-jährige ein Strawinsky-Ballett tanzen, in Verkehrung der festgelegten Rollen der Generationen und auch der Geschlechter? Schön die Cindy Sherman Fotos aus ihrer Pornografie-Serie? Die Inszenierungen von Matthew Barney rund um Ex-Bond-Girl Ursula Andress? Alles Beispiele aus der Frühjahrsausstellung 2005 des Hauses, betitelt: "Über Schönheit".
Fragen nach den Kriterien und den Bedingtheiten von Schönheit erreicht Wu Hung, der chinesische Kurator und Chicagoer Kunstgeschichtsprofessor, mit seiner Auswahl auf jeden Fall. Die Jubiläums-Präsentation "Regarding Beauty" im Hirshhorn Museum in Washington mit ihrer Konzentration auf allein westliche Beispiele und Perspektiven waren für Wu Auslöser für Überlegungen zu einer Ausstellung, die die Renaissance der Schönheit in Kunst und Gesellschaft rund um die Jahrtausendwende problematisiert. Eine Ausstellung, die nicht sagt, "das ist schön", sondern eine, die Fragen zur Schönheit stellt. Und eine weitere Frage formuliert er: Wie kann mit einem Gebäude umgegangen werden, das selbst mit einem Auftrag zur Schönheit erschaffen wurde? Die Kongresshalle hatte ja ein hohes Ziel - schlicht "Freiheit" - mit eleganten Formen und Materialien zu symbolisieren, so lautete Mitte der 50er-Jahre der Auftrag an den Architekten, und den hatte Hugh Stubbins mit bemerkenswertem Erfolg umgesetzt. Und darauf reagiert die Ausstellung: Der Boden des Foyer wird von Michael Lin aus Taiwan vollkommen mit buntprächtigen Blumenmotiven ausgemalt, mit Motiven, die auf der Insel zur Volkskunst gehörten, früher jeden Haushalt schmückten. Das Licht, das vom Tiergarten in das Foyer fäll, wird gefiltert durch die Installation der Algerierin Samta Benyahia, die die großen Fenster mit einem Rosettenmuster bekleidet hat. Diese Rosettenform trägt den Namen "Fatima", kommt aus der andalusisch-arabischen Baukunst und Töpferei. Holt sich also Michael Lin die Auseinandersetzung mit Traditionen seiner Jugend und mit ihrem Verschwinden in seine künstlerische Auseinandersetzung zurück, lässt Benyahia Symbole der kosmischen Ordnung aufscheinen. Und vor dem Haus setzt die in Deutschland lebende chinesische Künstlerin Qin Yufen 1500 Wäscheständer so verschachtelt ineinander und in den Teich, dass ein zauberhaft filigranes Gebilde nun mit der geschwungenen Dachsilhouette und den Teichspiegelbildern zusammen spielt. "City of Wind" ist das Werk betitelt, in dem mit Zitaten zur Schönheit beschriebene Stoffe wehen. So heben die Arbeiten der "Über Schönheit"-Präsentation die Formen der Stubbins-Architektur hervor - die Weite des Foyers, die Transparenz und das Ineinanderfließen von Innen und Außen, das Spielerische des künstlichen Teichs. Ein Anstoss auch dafür, die Funktion von Schönheit, schön-symbolhafter Architektur der Kongresshalle im Kalten Krieg der Machtblöcke zu bedenken.
Klar, dass die Ausstellung durch ein ausladendes Programm begleitet wird: durch Installationen von Gerüchen und Klängen, Filme, Musik, Performances, Tanz. "Die schöne Seele" wird thematisiert - und mit dem "Dogville"-Opfer-Film von Lars von Trier illustriert. Gemeinschaftsproduktionen von Tänzern aus Schanghai und Berlin nehmen die unterschiedlichen Schönheitsvorstellungen zum Angelpunkt - "Schönheit der Gestalt oder Schönheit der Bewegung, der Transformation?". Die kosmetische Chirurgie - "welche Nase wollen wir, wenn bestimmte Volksgruppen dadurch identifiziert werden?" - ist ebenso Thema wie die Kriterien von Partnerwahl - "der Wunsch nach Symmetrie scheint doch in den Genen verankert zu sein".
Weiß man am Ende, was schön ist? Natürlich nicht. Aber über die Konstruktion eines Begriffes war einiges zu erfahren, den wohl jeder jeden Tag ganz selbstverständlich denkt und sagt. Die Süddeutsche liefert in ihrem Artikel vermutlich selbstironisch ein wirklich "schönes Beispiel" dafür, wenn sie schreibt: "Wu Hung ist Professor für die Geschichte der asiatischen Kunst an der University of Chicago und trägt eine schöne schwarze Dior-Brille". Getroffen.
Axel Besteher-Hegenbart
Der Tagesspiegel, 18.3.2005
Süddeutsche Zeitung, 17.3.2005
die tageszeitung, 19.3.2005
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.3.2005
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.4.2005
die tageszeitung, 3.5.2005
Der Tagesspiegel, 18.5.2005
Der Tagesspiegel, 11.4.2005
Süddeutsche Zeitung, 13.4.2005