2003: Schafft zwei, drei, viele Festivals

Ein Musikjahr am Haus der Kulturen der Welt wird komplettiert

popdeurope 2003, Bühne auf der Dachterrasse

Musikalische Fusionen: Kulturmarmelade, Klangfarbpalette mit exotischen Tupfern oder Kommunikation zwischen Musikern, die sich intensiv mit der Musik anderer Kulturen auseinander gesetzt haben? Musikalische Globalisierung: Verwestlichung oder Durchlässigkeit der Grenzen von Genres und Überlieferungen? Diese Fragen, die niemals abschließend zu beantworten sein werden, ziehen sich mit gleich drei Festivals durch dieses Jahr am Haus der Kulturen der Welt. Das ist, laut DIE WELT, deren Artikel von Januar 2003 ich hier unbedingt zitieren muss, „eine komische Einrichtung. Man weiß nie ganz genau, was da vor sich geht in diesem Gebäude, das wie ein notgelandetes Ufo herumsteht. Auch der Name klingt eigenartig, irgendwie so, als hätten sich Aliens dazu entschlossen, ein Versuchslabor zur Erforschung der geheimnisvollen Kultur der Humanoiden zu eröffnen."

Festival No 1: „Diese komische Einrichtung" hat Gene Coleman als Kurator für eine neue, „transonic" benannte Musikreihe engagiert. Den Komponisten und Klarinettisten, in Chicago ansässig, in Japan fast zuhause, der in seiner Heimat schon das „Sound Field"-Festival gründete, das in der progressiven Musik-Szene der USA einiges bewegte. Das neue Festival soll die Zonen zwischen den unterschiedlichen Traditionen beackern, die herrschende Schubladenordnung Neue Musik, Jazz, Weltmusik ignorieren, ein „Experimentierfeld" sein. Und es wird nun wirklich experimentiert: Liu Sola, eine der ersten Kompositionsschüler in China nach der Kulturrevolution und Rocksängerin, improvisiert den „Konfuzius-Blues". Gene Coleman selbst präsentiert mit der Kotho-Zither-Spielerin Yoko Nishi und Musikern aus Europa Parallelen zwischen Werken von John Cage und des japanischen Komponisten Yuji Takahashi. Min Xia-Fen, die Virtuosin auf der chinesischen Laute Pipa, die ebenso in den USA lebt wie zeitweise Liu Sola, spielt erstaunliche Country-Musik. Otomo Yoshihide nähert sich der Stille, während Yumika Tanaka auf den drei Saiten ihrer Shamisen zu Spielvorlagen des US-Computer-Spezialisten Carl Stone zupft „wüste improvisierte Musik rund um Oasen traditioneller Kontemplation", so die Kritik.

Festival No 2: Die zweite Ausgabe von „popdeurope" kümmert sich um Beats und Sounds der europäischen Metropolen und die sind heutzutage Bastardklänge. Live-Bands, DJs und Soundsystem-Mechaniker springen im Sommer 2003 auf der Dachterrasse auf die Bühne, die Flamenco mit HipHop und Sufi-Mystik mit Techno kreuzen. Da gibt es keine Berührungsängste: Shakira? Die wäre nicht per se persona non grata, meinen die Programmmacher, sondern weil sie aus ihren libanesisch-hispanoamerikanischen Wurzeln nur Pop-Mainstream sprießen lässt. Der Mädchenschwarm Patrice, eine deutsche echte Reggae-Schönheit, ist der Headliner dieses popdeurope-Jahrgangs, mit allem Drum und Dran: Fanschwärme vor dem zur Garderobe umgebauten Konferenzraum, aufgeregtes Kreischen und Transpirieren, heftiges Verlangen nach Autogramm und Berührung. Ist das schlimm? Nein, auf jeden Fall überhaupt nicht, wenn sein Engagement dazu führt, dass die in Deutschland unbekannten Bands mehr Publikum ziehen und dass mehr Zuhörer zum Beispiel „Ojos de Brujo“ aus Barcelona lauschen. Die drehen bei dem klassischen Fusionsprodukt Flamenco noch die Schraube weiter und integrieren Scratching und Samples in ihren Sound.

Festival No 3: Im Dezember geht es, 2003 auch zum zweiten Mal, um „Sacred Music". Am Anfang der ein kleines bisschen vom Dalai Lama initiierten Konzertreihe sind Bauls zu erleben, Vertreter einer ostindischen Wandermusikerkaste. Die exerzieren die Suche nach dem Göttlichen durch Trance und Ekstase, sind in ihren Vorstellungen inspiriert gleich von drei Weltreligionen, sowohl von Buddhismus, Sufismus als auch vom Hinduismus. Bauls, das heißt übersetzt: Menschen, "„die an der Windkrankheit leiden", also durcheinander sind. Diese Standpunktlosigkeit ist in Zeiten von religiös begründeten Weltkriegen wohltuend, der richtige Beginn für den Dialog zwischen Kirchengesang, Moscheemusik und Tempeltrommel, den das "„Festival of Sacred Music" bringt.

Drei Festivals drei musikalische Fusionen alle drei gibt es inzwischen nicht mehr am Haus der Kulturen der Welt. Das hat in den Folgejahren solche "„Formate" eingestellt. Es profiliert sich stattdessen durch sehr umfängliche, sehr gründliche, lange Zeit angebahnte, alle Genres umgreifende Programme. Es wählt die "„Große Form". "„popdeurope" aber wandert zur privatfinanzierten Treptower Arena, was dem Profil des Festivals natürlich auch nicht so gut getan hat ...

P.S. Zum Abschluss noch ein Stück aus dem DIE WELT-Artikel von oben: "„Das beste Bild für das Wesen der ersten `transonic`-Reihe findet sich in der so genannten Konferenz, die Coleman organisiert hat. Schriftsteller, Komponisten, Instrumentalisten, Produzenten ... man hört von der Unmöglichkeit wirklich authentischer Regionalkunst im Global Village und bekommt Worte wie `metakulturelle Sounds` um die Ohren gehauen. Dann aber, mitten in einer launigen Gruppendiskussion, überlagern plötzlich fiese Störgeräusche das Gespräch. ... quält der Japaner Yoshihide eine E-Gitarre. ... John Corbett, Leiter des Berliner Jazz-Festes 2002, stellt lustigen Unfug mit einem Plattenspieler an. Das also ist das `transonic`-Festival in nuce: Es stellt Fragen und akzeptiert die irritierende Ratlosigkeit, es fordert den Zuhörer heraus und lässt ihn dabei doch des Öfteren grinsen." Und das in einer Institution, die 2002 gerade mit der Berlinale und den Berliner Festspielen zur vom Bund getragenen Dachgesellschaft KBB = "„Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH" fusioniert worden ist.
Axel Besteher-Hegenbart

Die Welt, 28.1.2003
Süddeutsche Zeitung. 13.1.2003
die tageszeitung, 10.1.2003
www.Jazzdimensions.de
Berliner Morgenpost, 27.12.2002
DIE ZEIT, 27.7.2003
die tageszeitung, 28.7.2003
Berliner Morgenpost, 10.12.2003