2000: Die Ko-Kuratoren übernehmen das Haus
Hong Kong und Berlin im Metropolennetz
"Die Chinesen kommen", dieser Satz mit großem Ausrufezeichen prangt auf dem Titel der "Zitty" Mitte Juli 2000, dabei meint die Stadtillustrierte eigentlich ganz genau: die Hongkonger. Zum ersten Mal wird eine Berliner Kulturinstitution von einer auswärtigen Künstlergruppe umgestaltet. Das Haus der Kulturen der Welt ist in diesem Spätsommer besetzt von der Gruppe Zuni Icosahedron und dem Hong Kong Institute of Contemporary Culture, im ersten Teil eines Meropolen-Austausch-Projekts. "Festival of Visions -Hong Kong in Berlin - Berlin in Hong Kong" heißt das etwas ausladend. Aber wirklich jeder Raum im und um das Haus herum ist genutzt, das damit wieder seine Multifunktionalität beweist: In den Spiegelteich davor ist ein Bambuspavillon gebaut, der als eigenes filigranes Kunstwerk ebenso Eindruck macht wie als Gehäuse für eine Reihe von abendlichen Kantonoper-Theater-Performances. In der Ausstellungshalle setzt ein "Video Circle" auf 32 Monitoren in Mehr-als-Echt-Zeit asiatische Realitäten neu zusammen, im Auditorium tritt Anthony Wong mit seiner wunderbar kitschig überdrehten Canto Popshow auf, auf der Dachterrasse laufen open-air Hongkong-Thriller mit ihrer Melange aus Love Story, Horror, Krimi, Action, Martial Arts und noch mehr, Konferenzen füllen die für Tagungen ausgerichteten Räume und mehrere Plakatpäsentationen aber auch noch die letzten Winkel. Im Zentrum, im Foyer eine symbolische Ausstellung: "The Black Box Exercise". Exercise steht dafür, dass die Hunderte von Schachteln in gemeinsamer Arbeit von Hongkonger Künstlern und Schülern, also bei kultureller Bildung gefüllt worden sind - nicht selbstverständlich für eine Metropole, in der das Kulturelle kaum im Vordergrund steht. Black Box bezeichnet den Raum, von dessen Innerem man keine Kenntnis hat, dessen Output aber ziemlich wichtig sein kann - ein Bild für das Wirken der Kreise und Klüngel von Politikern und Wirtschaftsleuten in einem Hongkong, das erst drei Jahre zuvor zum Teil der Volksrepublik China geworden ist.
Zusammengefügt hat das Ganze der umtriebige Danny Yung, der Stadtplaner, Kunstdirektor, Sozialforscher, Cartoonist, Filmemacher/ Produzent, Choreograf, Konzeptkünstler, Chief Executive vom H.K.I.C.C. (siehe oben), Gründer von Zuni (siehe oben), Initiator des APPAN (Asian Pacific Performing Arts Network) - bei dem man also eher fragen muss, was er nicht ist und macht. 1993 noch vom Britischen Gouverneur in den städtischen Kulturentwicklungsrat berufen, war eine seiner größten öffentlichen Installationen ein vier Stockwerke hoher Roter Stern, der schräg im Hafenbecken fast versank - und dennoch ist er auch nach der Übergabe Hongkongs einer der aktivsten Kulturnetzwerker der Stadt.
Danny Yung ist Umgang mit Widerständen gewöhnt und schlägt deshalb sofort Alarm, wenn Behörden in seine Aktionen eingreifen wollen. So als der deutsche Zoll die Einfuhr von 2000 Svastikas für seine Installation rund um das Haus der Kulturen der Welt verhindert. Svastikas sind - wer es nicht wissen sollte - Hakenkreuze, nur in der dem Nazi-Hakenkreuz entgegengesetzten Drehrichtung. Die Aktion kam nicht zustande. Aber auch als die deutschen Programmmacher das Einfärben des Wassers in den Spiegelteichen mit Schreibtusche verhinderten - aus Gründen des Umweltschutzes, die Tusche hätte leicht auch die nahe Spree miteingefärbt - kommt es zu Auseinandersetzungen. Die Tusche sollte eine der vier großen Erfindungen symbolisieren, die die Welt China verdankt - neben der Druckkunst sind das Kompass, Papier, Schießpulver - weshalb die Hongkonger auf dem Einfärben bestehen, und als das nicht geht, darauf, diesen Fall der "Zensur" zusammen mit dem Svastika-Zwischenfall in einem gesonderten Projektraum öffentlich zu dokumentieren.
"Vier Große Erfindungen", das hat dieselbe in China so beliebte Zahlensystematik, die auch im Leitspruch "Ein Land - Zwei Systeme" wirkt: Ein Vaterland China, aber zwei unterschiedliche politische Systeme, die Herrschaft der KP in Beijing, eine Semi-Demokratie in Hongkong. Als die Chinesen im Jahr 2000 im Haus der Kulturen der Welt die Regie führen, ist unklar, wie es weitergehen wird in der Meropole am Perlflussdelta. Inzwischen weiß man, dass sich in Hongkong die Zivilgesellschaft immer stärker formiert. Großdemonstrationen für demokratische Rechte vereinen inzwischen oppositionelle Politiker, Gruppen von Queer Sisters, NGOs, Vertreter der katholischen Diözese, Sex Workers, Amnnesty International und die unorganisierten Bürger. Die entdecken inzwischen - in einer Sadt, die durch die wirtschaftliche Öffnung des Festlandes in einer Krise steckt - ihre eigene Geschichte, das kulturelle Erbe und überhaupt Kultur. Berichteten im Jahr 2000 Berliner Künstler, die an dem Gegenbesuch deutscher Kultur in Hongkong teilgenommen hatten, dass die zwischen den überdimensionalen Produktwerbungen vollkommen unterging, könnte sich das inzwischen geändert haben. Und Danny Yung knüpft weiter an Global Cities-Netzwerken.
Axel Besteher-Hegenbart
Zitty, 27.7.2000
die tageszeitung 31.7.2000
die tageszeitung 26.7.2000
die tageszeitung 16.8.2000
Der Tagesspiegel, 27.7.2000
Der Tagesspiegel 11.11.2000
Süddeutsche Zeitung, 26.7.2000
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.3.2007